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Bildende Kunst

Doch, was haben die Künstler der Romantik mit Künstlern der Fluxus-Bewegung zu tun? Immerhin liegen etwa 160 Jahre zwischen der Epoche der Romantik im 19. Jahrhundert und der avantgardistischen Strömung des Fluxus im 20. Jahrhundert. Auf den ersten Blick betrachtet gar nichts und auch auf den zweiten Blick scheint das kuratorische Gedankenkonstrukt nicht aufzugehen. Immerhin, eine grundsätzliche Geisteshaltung beider Kunstströmungen offenbart Gemeinsamkeiten: sie sind beide Protestbewegungen gegen politische und gesellschaftliche Strukturen. Allein die Tatsache, dass sich die genannten Stilrichtungen gegen die etablierten Kunstrichtungen in Literatur, Musik und bildender Kunst in ihrer Zeit wenden, genügt allein noch nicht, um sie aus den sonstigen Kontexten herauszuheben, denn die Opposition gegen Etabliertes oder das Suchen nach neuen Freiräumen ist vielen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts gemein und so ist die Beweisführung Romantik und Fluxus kausal derart zu verbinden nicht überzeugend aufgegangen.

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Die Romantik, eine Entwicklung vom ausgehenden 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts, ist geprägt durch den Wechsel von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft. Die instabilen politischen Verhältnisse, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege, die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die Befreiungskriege gegen Napoleon, die Restauration der deutschen Kleinstaaterei nach dem Wiener Kongress, sorgen für Unsicherheit. Hinzu kommen große Umstellungen mit der beginnenden Industrialisierung, eine Zerrissenheit zwischen Glauben und Vernunft, die Auswirkungen der Aufklärung sowie die Abkehr von antiken und klassizistischen Vorbildern. Als Gegenwelt zur Wirklichkeit und durch den Verlust der Kunstauftraggeber Kirche, Hof und Adel ziehen sich die Romantiker in die Privatsphäre zurück, wenden sich einer individuellen, dennoch im Glauben verankerten Themeninterpretation zu. In ihrer idealisierten, romantisierenden Weltanschauung spielen Gefühle und Leidenschaft, Individualität, Seele, Phantasie und Traumwelt eine große Rolle. Die Sehnsucht nach Mythen, Sagen und Märchen, nach der empfindsamen Schönheit und Erhabenheit der Natur manifestiert sich nicht nur in der Literatur und Musik, sondern besonders in der bildenden Kunst. Die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Friedrich von Hardenberg – genannt Novalis – Clemens Brentano oder Joseph von Eichendorff, um nur einige zu nennen, gehören zu den bekanntesten Vertretern der romantischen Dichtkunst. Zu den prominenten Malern der Romantik zählen unter anderem Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Albert Bierstadt.
Johann Wolfgang von Goethe, scharfer Kritiker der neuen Bewegung, formuliert in seinen kunsthistorischen Schriften ganz im Sinne der Aufklärung: "Das Klassische nenne ich das Gesunde und das Romantische das Kranke."

Ab 1965 entsteht – parallel zum Happening und zur Aktionskunst – in Amerika die Fluxus-Bewegung. Speziell in den USA, eine Gegenbewegung der Avantgarde einerseits zu gesellschaftlichen Strömungen: zur etabliert-konservativen amerikanischen Gesellschaft und künstlerisch zur zeitgenössischen Moderne. Viele Künstler lehnen den Vietnam-Krieg ab, streiten für Frauenrechte und engagieren sich gegen die Apartheid. Fluxus, vom lateinischen Verb „fluere" (fließen), versteht sich als Antikunst zum aktuellen Mainstream von Pop Art, abstraktem Expressionismus, Fotorealismus. „Antikunst ist Leben, Natur; wahrhaft wirklich ist ein und alles", formuliert es George Maciunas.

Zu den Protagonisten zählen John Cage, George Brecht, Dick Higgins, Alison Knowles, Jackson Mac Low, Yoko Ono, Nam June Paik und George Maciunas, der den Begriff Fluxus prägt. Einige Künstler verlassen in den Sechzigern Amerika und gehen nach Europa, insbesondere nach Deutschland, wo sie in Köln, Aachen, Düsseldorf, Darmstadt und Wiesbaden ein neues künstlerisches Umfeld finden. Sie beeinflussen deutsche Künstler wie Joseph Beuys, Wolf Vostell und Dieter Roth zu eigenen kreativen Fluxus-Positionen. Viele Impulse gehen von der Fluxus-Bewegung aus, welche die Videokunst, Mail Art und die deutsche Konzeptkunst beeinflussen. Und diese Kunst ist politisch.

Als Entree der Schweriner Ausstellung empfängt den Besucher die Installation des Fluxus-Künstlers George Brecht „Three Arangements" – ein weißer Stuhl mit schwarzem Kissen, ein weißer Kleiderständer mit schwarzem Hut, ein weißes Wandboard an der Wand. Sein von der Decke hängendes Schild „Exit" lädt zum Betreten der Ausstellungsräume ein, nicht zur Umkehr oder Hinausgehen.

Der erste Raum präsentiert Gemälde und Zeichnungen von Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, Peter von Cornelius, Albert Bierstadt und Carl Blechen. „Neubrandenburg" von Caspar David Friedrich beeindruckt mit den sich auftürmenden abendlichen Wolkenformationen über der Stadtsilhouette mit dem markanten Kirchturm. Carl Blechens „Auf der Eisbahn" schildert das vergnügliche Treiben einer Gruppe von jungen Männern auf einem gefrorenen Kanal. Im Gemälde „Aufziehendes Gewitter im Tal", des deutsch-amerikanischen Malers Albert Bierstadt, hängt eine sich hoch auftürmende, graue Gewitterfront über einem grünen Tal und verdrängt die weißen Wolken. Nur ein schmaler Sonnenstreifen erleuchtet noch die Ebene.

Höhepunkt der Ausstellung sind die rund 150 Exponate des amerikanischen Fluxus. Viele sind Dauerleihgaben der in Köln ansässigen Familie Kelter an das Museum in Schwerin. Zum Teil noch nie öffentlich präsentiert, geben sie einen Einblick in die Kreativität der Fluxus-Bewegung: Videofilme, Fotografien, Malereien und Collagen, Objektkunst und Installationen.
Nicht alle Künstler können hier vorgestellt werden, was nicht bedeuten soll, dass die anderen Arbeiten weniger sehenswert sind. Für die Ausstellung entwickeln Ben Patterson und Geoffrey Hendricks die Rauminstallationen „Die Fluxus-Bar", „Das Reisebüro", „Die Bühne" und „Der Altar". Diese begehbaren Kunstwerke veranlassen die Besucher zur aktiven Mitarbeit. Sie werden sozusagen Teil des Projektes. Hendricks Fluxus-Altar bezieht sich, allerdings nur motivisch, auf den „Tetschener Altar" von Caspar David Friedrich. Gedacht für die Kapelle des Grafen Thun in Tetschen, löste das Altarbild 1809 in der Öffentlichkeit einen Kunststreit aus, denn hier fungiert erstmals ein Landschaftsgemälde als Altarbild. Berührungsängste hat Hendricks nicht. Vor seinem Altarbild, eine Bildserie von dreiunddreißig einzelnen Wolkenbildern, stehen ein Tisch und ein Stuhl, auf dem der Besucher Platz nehmen kann.

Yoko Ono, die provokant fordert: „Ich möchte an jeder Straßenecke den Himmelsautomaten statt des Cola-Automaten sehen. Wir wollen mehr Himmel statt Cola!", ist mit einem Video vertreten. Von John Cage, Maler und Komponist experimenteller Musik, wird sein Video, ein drei-sätziges Nicht-Musikstück „Vier Minuten 33 Sekunden" gezeigt, in dem während der gesamten Spieldauer kein einziger Ton gespielt wird. Louis Goodmans Objektkunst „Tin Baby III" erinnert an die Dada-Bewegung und Kurt Schwitters. Aus Pappmaché und Stofffetzen gefertigt ist Alison Knowles „Beim steinernen Kreuz". Interessant ist die Installation „Buddha" von Nam June Paik. Der Südkoreaner hat in Deutschland Musikwissenschaften studiert und findet erst mit der Fluxus-Bewegung zur bildenden Kunst. Paik gehört seit den 60er-Jahren zu den Wegbereitern der Videokunst. Er ist einer der Ersten, der Videofilme und Monitore als künstlerische Medien nutzt. Sein bronzener Buddha, mit den Gesichtszügen Paiks, sitzt vor einem zum Sakral-Gehäuse umgewandelten Fernseher mit einer Kerze. Leicht ironisch verbindet der Künstler in seiner Installation östliche Religion und westliche Fluxus-Kunst zu einer Einheit. Ben Patterson, ein Mitbegründer von Fluxus, ehrt mit seiner Collage „Hommage an Al Hansen" seinen 1995 verstorbenen Kollegen Alfred Earl Hansen.

Anhand zahlreicher Exponate versuchen die Kuratoren der Schweriner Ausstellung den Einfluss der Kunst der deutschen Romantik auf die amerikanische Fluxus-Bewegung zu belegen. Beide Kunstströmungen opponieren zwar gegen den Zeitgeist, aber eine Einflussnahme der Romantiker auf die Fluxus-Avantgarde ist nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass von einer Revolution, wie es der Ausstellungstitel benennt, gar keine Rede sein kann.


„Die Revolution der Romantiker. Fluxus made in USA", zu sehen bis zum 9. Juni 2014 im Staatlichen Museum Schwerin, Alter Garten 3, 19055 Schwerin.
Öffnungszeiten: Di – So 10 bis 17 Uhr (bis 14.4.2014 und ab 15.10.2014), Di – So 10 bis 18 Uhr (ab 15.4.2014 bis 14.10.2014)
Ein Katalog ist erschienen.
www.museum-schwerin.de


Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus Nam June Paik; o. T., 1995; Siebdruck auf Karton , 59,6x84 cm, Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
Galerie:
01. Cover des Katalogs „Die Revolution der Romantiker. Fluxus made in USA"
02. Caspar David Friedrich, Neubrandenburg, 1816/1817, Öl auf Leinwand, 91x72 cm. © Pommersches Landesmuseum, Greifswald
03. Caspar David Friedrich, Winterlandschaft, 1811, Öl auf Leinwand, 33x46 cm. © Staatliches Museum Schwerin. Foto: Elke Walford
04. Blick in die Ausstellung. Im Vordergrund George Brecht: „Exit“. Foto: Christel Busch
05. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
06. Ben Patterson; Hommage an Al Hansen, 2007; Collage, Holztafel, Türklinkenblatt, Zigarettenstummel; 60x40x3,5 cm. Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
07. Nam June Paik, Buddha, 1989, Installation, Bronzeskulptur, Fernsehgehäuse, Kerze, Sockel, 85x140x140 cm. © ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Foto: Steffen Harms
08. Geoffrey Hendricks; A small sky, 1983; Acryl auf Leinwand; 45x50,3x3 cm. Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
09. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch
10. Al Hansen; Zoo Venus, 1995; Collage, Plastiktiere auf Karton, Plexiglashaube; Karton: 80 x 60 cm, Plexiglashaube: 83x62,7x10,5 cm. Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
11. Alison Knowles; Beim steinernen Kreuz, 2002; Mischtechnik, verschieden farbige Fasern, verschieden Stoffstücke, Papiermaché, Maske; 20x9x7 cm (Papiermaché) 40 x 23 x 10 cm (Maske). Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
12. Emmett Williams; The new order takes over, 1981; Airbrush auf Karton; 56x77 cm. Sammlung Kelter. Foto: Gabriele Bröcker
13. Blick in die Ausstellung. Foto: Christel Busch

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