Bildende Kunst

Armin Mühsam, der als Professor für Malerei an der Northwest Missouri State University in Maryville lehrt, präsentiert anlässlich der USA-Wochen eine Auswahl seiner Werke in der Galerie Atelier III im schleswig-holsteinischen Barmstedt. Die Räume des ehemaligen Gerichtschreiberhauses auf der Rantzau'schen Schlossinsel sind geradezu prädestiniert für sein Werk.

Mühsam malt Landschaften, die nie reine Natur-, sondern immer anspruchsvolle Kulturlandschaften sind. Jedes seiner Bilder zeigt menschliche Hervorbringungen: architektonischer, symbolischer, kultivierter, zivilisatorischer Art. Sichtbar macht er diese durch unterschiedliche Baukörper, Pflanzungen und einzelne Fragmente. Genannte dienen als eine Art Überbleibsel in Form von Schienensträngen oder Fahrzeugspuren, von einer analog-denkenden, historisierten Industrie und Bauklotzelementen mit Unfertigkeitsstatus. Seine klinisch-gesäuberte Malweise – kein Staubkorn hat sich in die Leinwandmotivik verirrt – und die scharfen Konturen, Lichtführungen und Schatten lassen eine modellhafte Auffassung vermuten. Dafür stehen auch die immer wiederkehrenden gemalten Arbeitsböcke und Modellkästen. Die fast gespenstisch leeren und gesäuberten Orte erinnern an Friedrich Nietzsches Beschreibungen des nächtlichen Turins.

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Uns wird recht schnell klar: Das, was da abgebildet ist, steht nicht für sich selbst und schon gar nicht für sich allein und es erklärt sich auch nicht ausreichend. Es gibt vielmehr symbolhafte Verweise, traumartige Visionen und narrative Kommentare für etwas, was außerhalb des Bildraumes liegt. Der Künstler meint nicht die Topik, sondern vielmehr die Typik; die Landschaft mit Gebäuden ist eine allgemeingültige Idee mit einer typischen Struktur und typischen Merkmalen. Südländische Bäume, hier und da mal ein Strauch, Wiese oder Rasen angedeutet, nie aber eine Blume oder etwas üppig Blühendes.

Die Gebäude und Baukörper sind klar und einfach, gelegentlich mit einer Zitat-Andeutung versehen: Étienne-Louis Boullées Kenotaphen lassen grüßen, Giorgio Morandi, Giorgio de Chirico und Leo von Klenze dienen als Vorbilder. Die Himmel und Wolkenbildungen zitieren Namen wie Philip Otto Runge und Caspar David Friedrich. All diese Namen sind aber nebensächlich und besagen lediglich, dass Armin Mühsam seine Zitat-Vorbilder gut kennt und studiert hat.
Außerdem sind merkwürdige dunkle Ein- und betonfarbige Niedergänge und Tunnels in den Bildern zu sehen, bunker- und containerartige Formen.

Konstruktionsgegenstände wie Winkel und geographische Messgeräte sowie Stative machen dem Betrachter klar, dass Planung und Konstruktion nötig waren, um das Motiv einerseits und das Bild andererseits zu bewerkstelligen. Will sagen, der Künstler verweist auf die symbolische Konstruktion, die es im Bild selbst als vergangene Handlung einmal gegeben haben könnte und er verweist auf seine eigene, komplexe Konstruktion, das Bild komponiert und gemalt zu haben. Kommunikation wird mit Straßen und Schienensträngen, Sendemast und Satellitenschüssel symbolisiert.

Eigentlich scheint Mühsam wie ein klassischer Bildhauer zu arbeiten und alles Überflüssige aus den Bildern entfernt zu haben. Das Resultat ist das Unabdingbare, das nach dem Prozess einer Beobachtung und anschließender Reinigung als Konzentrat verbleibt. Damit wäre auch die vermeintlich gefühlte Leere des Bildraums zu erklären.
Der Mensch ist nie direkt sichtbar, als wolle uns der Künstler sagen: Die Welt funktioniert nun ohne seinesgleichen. Die Unsichtbarkeit des Menschen bedeutet aber nicht automatisch seine Abwesenheit.

Es gibt in Mühsams Bildern zwei bevorzugte Sichtperspektiven auf die Dinge – die von oben, von einem erhöhten, etwas entfernten Standpunkt aus und die auf Augenhöhe.
Er bietet uns gleichzeitig auch bevorzugte unterschiedliche Möglichkeiten der Annäherung an die Bildwerke an, eine Künstlerisch-Kunsthistorische sowie eine Politisch-Kritische. Oft wird in Texten über die Nähe zu de Chirico geschrieben, die „Pittura Metafisica“ erwähnt, die eine Art Hyperrealismus hervorgebracht hat und der Mühsam auch in einer bestimmten, ansatzweisen und sichtbaren Weise verbunden ist.

Ich möchte mich einem anderen Ansatz widmen, einer Annäherung, die sich eher der Idee einer Übersetzung hingibt und den Prozess des Verstehens und Gestaltens frei und kreativ zum Ergebnis führt. Im Vordergrund steht dabei die kulturelle Auswertung, die sich mir visuell und gleichzeitig hintergründig erschießt.
Bei allen Bildern Armin Mühsams hat der Betrachter das Gefühl etwas nicht sehen zu können. Als ob es ein Geheimnis, etwas Mystisches, Unsichtbares, Verborgenes gibt, bleiben wir fragend vor den Bildern stehen. Die Fragen lauten: Warum ist der Raum ausgestorben? Was ist passiert? Welche Natur existiert noch? Gibt es die Hoffnung eines anderen, nicht entleerten Raumes? Um welche Matrix handelt es sich? Wohin führen die dunklen Eingänge? Woher rührt die merkwürdig und eigenartig religiöse Anmutung einiger Bilder?

Auf der Suche nach Antworten werden Assoziationen und Erinnerungen zu den Filmen des russischen Regisseurs und Künstlers Andrei Arsenjewitsch Tarkowskij relevant. Wenn man davon ausgeht, dass Mühsam in gebetsmühlenartiger Weise eine Art „Zone“ malt, vergleichbar der im Film „Stalker“ von 1979, so vermengen sich die künstlerisch-kunsthistorischen und politisch-kritischen Sichtweisen miteinander und führen zu Ergebnissen die gesamtgesellschaftlicher Natur sind.

Ein Gebiet wurde evakuiert, abgesperrt und steht unter militärischer Bewachung. Der „Stalker“, eine Art Pfadfinder oder Kundschafter, verdient sich seinen Lebensunterhalt damit, Leute illegal durch den Sperrgürtel zu bringen und sie innerhalb der Zone zu führen.
Mühsam obliegt quasi die Aufgabe des Stalkers, wir sind diejenigen, die er in die Zone führt.

Auch in der Realität, mit den Atomkatastrophen von 1986 und 2011, den verlassenen Landstrichen in der Ukraine, rund um die Städte Tschernobyl und Pripjat und Fukushima in Japan, finden wir Beispiele. Legen wir diese Katastrophen als Ausgangspunkte fest, dann scheinen sich unsere dumpfen Ahnungen, die wir in die teils kontemplativen Bilder legen, zu bestätigen: Hier stimmt etwas nicht. Die Zeit in den Bildwerken ist eingefroren wie im Dornröschenschlaf, es drängt sich der Gedanke auf es gäbe kein Nachher, keine absehbare Zukunft, weder für die Natur, noch für den Menschen, noch für sonst irgendetwas. Der Künstler sagt dazu: "Es ist der Weltuntergang in Technicolor".
Nur die Erkenntnis worauf Mühsams Bildinhalte abzielen kann wie der Prinz den Fluch wegküssen und die kritischen Visionen des Malers konterkarieren.
Kunst bekommt – auch im Sinne Tarkowskijs – eine hohe Aufgabe, nämlich die der Vermittlung von Erkenntnis und des Begreifens. Der Endzeitstimmung steht die Wahrheitsfindung gegenüber, die uns das „absolute Bild“ sehen lässt. Sie führt dazu, die und unsere Unzulänglichkeiten zu erkennen. Der Künstler Mühsam ist wie der Künstler Tarkowskij ganz uneigennützig und sieht sich und seine Kunst in einem Geflecht von Aufklärungen in Realitätsbezügen. Nur den Vorgang des Erkennens überlassen beide uns sowie die Wahl des Weges, den wir einschlagen.
Dass dies nicht durch einen vordergründigen Realismus vermittelt wird, der sofort das Aha-Erlebnis provoziert ist evident. Mühsams Bilder nehmen uns in die Pflicht, sie fordern Fantasie und die Grammatik der Zeugenschaft, zugleich Assoziation und Struktur und anschließend, regelrecht zwangsläufig, unser eigenes erarbeitetes und konstruktives Erkennen. Wir werden von zunächst Ahnenden durch die intensive Beschäftigung zu Mitwissenden einer poetischen, subjektiven Logik. Das scheinbar friedliche, stabile Äußere, dass uns die Bildmotive anfangs suggerieren, die klaren, reduzierten Bauten, die Lichtführung, die fragmentarischen Einzelelemente und die Landschaft entpuppen sich letztlich als Ausdruck eines instabilen invisiblen Systems. Wir Betrachter können diesen Prozess des Erkennens durch eine Art des „Mappings“ vollziehen. Wir erstellen uns unsere eigenen Karten. Im Zusammenspiel von freien Assoziationen mit all seinen notwendigen Widersprüchlichkeiten und kognitiven Techniken des Filterns wird ein „Mind Mapping“ vollzogen, das letztlich einer bestimmten Denk-, Erinnerungs- und Erfahrungsstruktur folgt. Wir können zugestehen, dass wir nicht auf alle Fragen Antworten gefunden haben und trotzdem auf einen neuen Erkenntnisstand gebracht werden. Die durchkomponierten-, sind eben keine durchdeklinierten Bilder.

Der Denk- und Erkenntnisraum in uns wird erweitert und es folgt die abschließende Konklusion: Wer Weite und die Tragweite unseres Handelns in sich trägt und reifen lässt, kann sie erkennen.


Armin Mühsam „Anthroposcenes“. In Kooperation mit dem Generalkonsulat der USA in Hamburg.
Zu sehen vom 16.6. bis 21.7.2013 in der Galerie Atelier III, Schlossinsel Rantzau, in 25355 Barmstedt.
Der Katalog ist für 10 Euro erhältlich

Abbildungsnachweis: Fotos: Armin Mühsam
Header: Armin Mühsam, “Resource Density”, 2011, Öl auf Leinwand, 31x57 cm
Galerie:
01. „Clear New World“, 2011, Öl auf Leinwand, 175x135 cm
02. “Twilight of an Idea”, 2011, Öl auf Leinwand, 175x135 cm
03. “Constrained Choices”, 2009, Öl auf Leinwand, 67x51 cm
04. “Aggragate Demand”, 2011, Öl auf Leinwand, 67x51 cm
05. “Andachtsbild”, 2012, Öl auf Leinwand, 56x51 cm
06. "Optimization Demands", Öl auf Leinwand, 96x71 cm
07. "Augmented Realities", 2012, bemaltes Holz, 86x93x7cm. Foto: Darren Whitley
08. “Classification of a Landscape”, 2008, Acryl auf MDF, 40x96 cm
09. “M.T. Raum”, 2007, Acryl auf MDF, 53x106 cm
10. “The Pragmatics os Worship”, 2010, Öl auf Leinwand, 67x120 cm
11. „End of an Era“, 2010, Öl auf Leinwand, 66x51 cm
12. Armin Mühsam in seinem Atelier in Maryville/USA. Foto: Darren Whitley.
Courtesies: Ambacher Contemporary, München und CFCA, Hamburg