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Bildende Kunst

Schumacher, 1912 in Hagen geboren, absolviert nach der Schule ein Grafikstudium an der Kunstgewerbeschule in Dortmund. Er möchte Werbegrafiker werden. Die künstlerische Isolation während der Nazizeit und der Krieg machen seine Pläne jedoch zunichte. Nach Kriegsende beginnt er einen Neuanfang, sucht eine neue Stilrichtung. Er findet sie in der von Frankreich ausgehenden informellen, gegenstandslosen Malerei. Diese "Kunst der Nichtform" begeistert ihn. Schon bald gehört er zu den ersten deutschen Künstlern, welche diesen Stil adaptieren. Inspirationsquelle für seine Frühwerke und die späten Arbeiten ist die Natur mit ihren Landschaften, Seen und Wäldern. In seiner Phantasie formt er sie neu, gibt ihr mit seinen pastos aufgetragenen Farbflächen, Bögen und Linien sowie den zerfurchten Feldern eine neue Körperlichkeit. Er integriert - als Elemente der Natur - Erde, Teer, verkohltes Holz, Blätter und andere Materialien in seine Bildkompositionen. Er beseelt sozusagen die Materie mit organischen Stoffen. Dick trägt der Maler Farbschicht um Farbschicht auf, zerstört durch Ritzen und Kratzen die Oberfläche, gleichwie bei einer von Menschenhand geschundenen Landschaft. Als Malgrund benutzt er Leinwand oder, wie bei mittelalterlichen Tafelbildern, Holz. Zu seinen Lieblingsmotiven gehören das Rad und der Bogen, die immer wieder in seinen Bildern präsent sind. Aber auch Bäume, Leitern oder Tiere schleichen sich in seine Arbeiten ein, die er jedoch stark verfremdet darstellt. Seine phantasievollen Bildtitel erinnern an Orte, die er auf Reisen in den Irak, nach Djerba und Marokko besucht hat, an Personen aus der Mythologie und dem Alten Testament.

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Mit seiner farbintensiven Malerei und der rauen Oberflächenstruktur erlangt Schumacher 1955, nach einer Ausstellung in Paris internationale Anerkennung. Er avanciert zu einem der renommiertesten Vertreter der deutschen Nachkriegskunst. Auch wenn in den 60er-Jahren das Informel überrollt wird von den modernen Kunstströmungen der Pop-Art und OP-Art, dem Colour-Field-Painting oder der figurativen Malerei, Schumacher hält bis zum Ende seiner Schaffenszeit der Abstraktion die Treue. "Ich hasse das Glatte; ich hasse das Elegante; ich hasse all diese Dinge, die nur Oberfläche sind. Ich möchte in die Tiefe", sagt der 85-Jährige in einem Interview über seine Bilder.

Doch, was macht die Faszination seiner Bilder für den heutigen Betrachter aus? Die explodierende Farbigkeit, der dynamische Pinselduktus, die reliefartigen Bildstrukturen oder seine vor Vitalität brodelnde Bildsprache?

Die Kunsthalle St. Annen präsentiert im großen unteren Saal und den beiden lichtdurchfluteten Obergeschossen rund 30 großformatige Ölgemälde. Das Untergeschoss ist den kleinformatigen Papierbildern vorbehalten: 13 auf Packpapier gemalte Gouachen und 18 Serigrafien, Illustrationen mit hebräischen und deutschen Texten, welche sich den alttestamentarischen Themen der Genesis widmen.

Als Eyecatcher empfängt den Besucher "Falacca VIII". Ein Bild von expressiver Farbigkeit, das neugierig auf die Ausstellung macht. "Goro" dagegen dominiert mit dunkelbraunen Farben vor einem weißen Hintergrund mit zart getupften Blautönen. Kraftvolle, schwarze Linien umrahmen eine Figur – Assoziationen die an einen Berg oder Gesteinsformationen hervor rufen. Ein an einen Raubvogel erinnerndes Etwas bekrönt die Spitze. Die Farben sind schichtweise aufgetragen und reliefartig zerkratzt. Auch "Gaia", ein in Braun-, Grün- und Schwarztönen komponiertes Bild, deutet mit den Pflanzenfasern, der Erde und den körnigen Pigmenten zerfurchte Landschaften an. In den Bögen am hellbraunen Himmel scheinen Schwärme von Vögeln zu fliegen. Andere, in abgestuften Erdfarben gehaltene Arbeiten sind ebenfalls als Landschaftsbilder zu identifizieren "Halfa", "Safar", "Kadum", "Talaya" oder "Campo" mit seinen Baumstümpfen und den Resten von Schnee auf der Erde. Differenzierte Grüntöne finden sich in den Naturbildern "Musco I" oder "Thassos". Hier meint man schneebedeckte Berge, einen grünen Berghang mit Wegen und Schneereste zu entdecken. Einfacher zu deuten sind "Fallacca VIII", "Camosco", "Terrano X" oder "Senna", in denen ein intensives Gelb den Bildaufbau beherrscht. Stark abstrahierte Tiere - bei "Fallacca VIII" kommt ein Wagenrad hinzu - sind erkennbar, deren Umrisslinien an die Höhlenmalereien der Urmenschen erinnern. Ein tiefes Kobaltblau dominiert dagegen die Gemälde "Styrax", "Atlanta" oder "Großes Blau", das einer Unterwasserwelt mit rätselhaften Fischen und Tieren ähnelt. Wie ein glutroter Feuersturm breitet sich dagegen das Rot auf der Bildoberfläche von "Belem", "Kinabalu" oder "Temun", mit den schwarzen zuckenden Farbstrichen aus. Ein Inferno eruptierender Vulkane?

Neben der Ölmalerei experimentiert Schumacher Ende der 90er-Jahre mit Malereien auf Aluminiumtafeln. Zu diesen späten Werken gehört "Alumet". Die mit einer matten, grau-braunen Grundierung überzogene Oberfläche ist teilweise weggekratzt, sodass das glänzende Aluminium durchschimmert. Mit kräftigem Gestus ist in schwarzem Lack ein galoppierendes Pferd und ein Wagen - vielleicht eine Quadriga - skizziert.

Schumachers Arbeiten mit den rätselhaften Werktiteln fordern zum Dialog heraus und spielen mit der Phantasie des Betrachters. Nach der Vorstellung des Malers sprechen Bilder durch sich selbst und erschließen sich erst nach längerer Betrachtung. Liegt eine Interpretation also im Auge des Betrachters? Bei all den farbenfrohen Gemälden in braun, rot, blau, grün oder gelb stiftet seine Malerei dennoch Verwirrung: Ist sie im klassischen Sinn Informel, Figurativ oder dem abstrakten Expressionismus zuzuordnen? Wie dem auch sei, der Besucher sollte die Bilder nicht sezieren, sondern ihre Ästhetik und ihre strahlende Ausdruckskraft genießen.

Schumacher gehört zu den Stars des deutschen Informel. Die Liste seiner Ausstellungen und Ehrungen ist lang, deshalb nur einige biographische Daten: Bereits 1961 nimmt er an der 29. Biennale von Venedig teil, 1964 und 1977 ist er auf der documenta in Kassel vertreten, als einzigen deutschen Künstler ehrt ihn im Herbst 1997 die Galerie nationale du Jeu de Paume in Paris mit einer großen Retrospektive, 1998 stattet er den Sitzungssaal des Bundestages im Berliner Reichstagsgebäude mit vier bemalten Aluminiumtafeln aus. Er erhält unter anderem 1982 den Orden Pour le mérite für Gelehrte und Künstler. Emil Schumacher stirbt 1999 im Alter von 87 Jahren in San José auf Ibiza.

Die Kunsthalle St. Annen in Lübeck würdigt mit ihrer Jubiläumsausstellung "Emil Schumacher. Beseelte Materie" einen ganz Großen der informellen Malerei.


Eine interessante, hervorragend konzipierte Retrospektive. Zu sehen bis zum 8. September 2013 im Museumsquartier St. Annen, St. Annen-Straße 15, 23552 Lübeck.
Die Öffnungszeiten sind vom 05.05. - 31.12. Dienstag bis Sonntag von 10 - 17 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.
www.kunsthalle-st-annen.de

Fotonachweis:
Header: Ausstellung Emil Schumacher. Foto: Hannelore Schramm
Galerie:
01. Ausstellung Emil Schumacher. Beseelte Materie. Foto: Hannelore Schramm
02. Goro, 1983, Öl auf Holz
03. Gaia, 1983, Öl auf Leinwand
04. Temun, 1987, Öl auf Holz
05. und 6. Blick in die Ausstellung. Foto: Hannelore Schramm
07. Emil Schumacher, Portrait, 1981

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