Bildende Kunst

Das Haus liegt versteckt in einer kleinen Straße, direkt an der Grenze zum Hamburger Stadtgebiet. Ein zweckmäßiger, schlichter Bau in Weiß, unterteilt in zwei Trakte: Vorne das Wohnhaus, hinten das lichtdurchflutete, dreigeschossige Atelierhaus. Später wird Gudrun Piper erzählen, wie Christian Fahrenholtz, Ende der 50er Jahre Baurat in Hamburg und ein guter Freund ihres Mannes, Max Hermann Mahlmann (1912-2000), den Entwurf in einer durchzechten Nacht auf eine Papierserviette gekritzelt hat. Jetzt öffnet Maria Mahlmann, die einzige Tochter, die Tür und hält dabei amüsiert den Rehpinscher in Schacht, der die Besucherin mit lautem Gebell begrüßt. Gudrun Piper wartet schon. Bei Kaffee und Christstollen sitzt sie im „Besuchszimmer“, dem kleinen verglasten Durchgangsraum, der das Atelierhaus mit dem Wohntrakt verbindet. Hier arbeitet sie am liebsten, weil es so schön hell ist und weil ihr der Weg in ihr Atelier eine Etage tiefer zu beschwerlich geworden ist.

Die Wände des Durchgangsraumes sind gepflastert mit ihren jüngsten Arbeiten: Kleine Quadrate in den Grundfarben, gelb, rot, blau. Quadrate sind Gudrun Pipers Markenzeichen, Quadrate in allen Variationen. Langweilig sei ihr die Beschäftigung damit noch nie geworden, beteuert sie. „Es geht ja nicht um ein Quadrat. Es geht ja um die Beziehung zu den anderen Quadraten. Um die Proportionen untereinander“. Das klingt nach Mathematik, doch davon will die Künstlerin nichts wissen. „In Mathe war ich immer eine Null“. Wenn man für ihre Kunst schon Vergleichsgrößen heranziehen will, dann doch eher die Musik. „Es geht mir um die Spannung der einzelnen Einheiten zueinander. Eine Einheit verdoppelt sich, oder vervierfacht sich und daraus ergibt sich ein Rhythmus im Sinne einer Musik“. Gudrun Piper liebt Bach, aber auch den Jazz. „Mein Vater war ein leidenschaftlicher Stepptänzer und spielte auch Trompete“, ergänzt Maria Mahlmann, die heute im Atelier ihres Vaters Mode entwirft.

2006 kehrte die 57-jährige Designerin, selbst Mutter dreier Töchter, in ihr Elternhaus zurück. Oceana, ihre älteste, ist mittlerweile der berühmteste Spross der Familie. „Endless Summer“, ihr EM-Song 2012, machte sie zum international bekannten Popstar. Klar, dass Mutter und Großmutter wahnsinnig stolz sind. Drei Künstlergenerationen unter einem Dach, das ist ja auch etwas ganz Besonderes, doch zurzeit ist die Sängerin viel zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt, um in Wedel vorbeizuschauen. Es sei denn, sie braucht einen neuen Show-Dress von Hand ihrer Mutter. Maria Mahlmann hält im wahrsten Sinne des Wortes die Fäden im Wedeler Haushalt zusammen. Sie kümmert sich um die Töchter, aber auch um den Nachlass des Vaters und vor allem um ihre Mutter und deren Ausstellungen. Und die werden mit zunehmendem Alter nicht weniger, sondern eher mehr. Im September, nachträglich zum 95. Geburtstag, widmete die Hamburger Galerie Kammer Gudrun Piper eine große Retrospektive. Und an diesem Wochenende zeigt die Galerie die Werke der betagten Künstlerin zwischen Dutzenden von Newcomern auf der ersten Affordable Art Fair in Hamburg.

Konkrete Kunst ist wieder im Kommen, doch das nimmt Gudrun Piper nur am Rande wahr. Der Kunstmarkt war ihr immer herzlich egal. In den frühen 60er Jahren hatten sie und ihr Mann sich den streng geometrischen Farb- und Formkompositionen verschrieben und sind ihnen eine Leben lang treu geblieben. „Eines Tages kam mein Mann nach Hause und sagte: Ich fange ein neues Leben an. Für mich existiert jetzt nur noch die Waagrechte und die Senkrechte“. Klar, dass diese rigorose Haltung auch seine Frau beeinflusste. In der norddeutschen Kunstszene waren „Mahlmann-Piper“ sowieso nur als Einheit bekannt. Sie arbeiteten zusammen, sie stellten gemeinsam aus, sie wurden vielfach gemeinsam geehrt – und sie wurden zusammen Inbegriff einer konstruktiv-konkreten Kunstrichtung, die in Kasimir Malewitschs berühmtem „Schwarzen Quadrat“ (1915) ein halbes Jahrhundert zuvor ihren Ausgang genommen hatte.

Als Gudrun Piper Anfang der 50er Jahre Max Mahlmann bei einem Abendkurs an der Hamburger Volkshochschule kennenlernte, war sie bereits Mitte Dreißig, hatte ihr Kunststudium an der Kunstakademie Düsseldorf und an der Hochschule für bildende Künste in Berlin absolviert, einen Studienaufenthalt in Italien hinter sich - und war immer noch lernbegierig. Endlich konnte sie die Expressionisten, Kubisten und Konstruktivisten studieren, die im Nazi-Deutschland so lange verpönt gewesen waren, insbesondere ihre großen Vorbilder Paul Klee, Cezanne und Matisse. Bereits als Studentin hatte sie „immer auf der Seite der ,Entarteten‘, gestanden - und diese Haltung verband sie mit dem fünf Jahre älteren Mahlmann, der sich im Nachkriegs-Hamburg mit Aktzeichenkursen über Wasser hielt. „Sein Unterricht war so gut, so temperamentvoll“. Wenn die alte Dame von ihrem verstorbenen Mann erzählt, fangen ihre Augen an zu leuchten. Alle Schüler, insbesondere die weiblichen, seien damals von dem charismatischen Lehrer fasziniert gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass er sich ausgerechnet für mich interessiert“, sagt sie lächelnd. „Eines Abends hat er mich nach Hause gebracht und ganz nebenbei gesagt, ,Gudrun, ich finde, wir sollten zusammenbleiben‘. Und ich fragte noch: Wie meinen Sie das, Herr Mahlmann?“

Auf die Frage, warum sie gleich ja gesagt hat, ob sie verliebt war, schüttelt Gudrun Piper erstaunt den Kopf. „Verliebt? Das kann ich nicht sagen. Nicht in dem Sinne. Ich mochte ihn gern. Er war ein echter Künstler und enorm in seiner Ausstrahlung.“ Seelenverwandtschaft sei wohl eher das zutreffende Wort für ihre Beziehung. Die geistige Übereinstimmung, die sich auch in der Kunst immer aufs Neue manifestierte. Max Mahlmann war es enorm wichtig, dass seine Partnerin die Malerei nie vernachlässigte. „Wenn er abends von der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung, wo er unterrichtete, nach Hause kam, fragte er mich stets: ,Hast Du heute gearbeitet‘? Ob die Küche dreckig war, war ihm egal, Hauptsache ich kam mit meiner Kunst weiter“.
Für Tochter Maria bedeutete das oft, still in einer Ecke zu sitzen, wenn sie in der Nähe der Mutter sein wollte. Denn im Atelier war Toben tabu. Sie könne nur arbeiten, wenn es absolut ruhig im Haus ist, betont die betagte Künstlerin immer wieder. „Ich verabscheue die Unruhe“.

Das starke Bedürfnis nach Stille mag mit ihrer Kindheit in Japan zu tun haben. Als Tochter eines Japan-Kaufmanns verbrachte Gudrun Piper die ersten zehn Lebensjahre erst in Kobe, dann in Ashiya. Die japanische Kultur, das streng-formale Nô-Theater, über das ihre Mutter, die Schriftstellerin Maria Piper, mehrere Bücher schrieb; das klare, minimalistische Design und die kontemplative Stille der Zen-Gärten haben sie zweifellos geprägt. Wenn sie an Japan denke, sagt sie, sehe sie sich immer noch am Meer stehen und auf den Horizont schauen. Gudrun Piper liebt die Natur, die Tiere über alle Maßen. Früher gab es einen eigenen Raum im Haus für ihre 30 Vögel. Und heute sitzt sie oft am Fenster, guckt in den Himmel und beobachtet die Wolkenbilder. Oder die Bäume. „In der Natur sehe ich, wie alles mit allem in Beziehung steht. In der Natur sehe ich eine große Ruhe“.

Es gibt einen Satz von ihr, der in jedem ihrer Kataloge auftaucht: „ Der zur Stille strebende Mensch findet in der konkreten Kunst die Einsicht, um sich von einer spektakulären Welt abzuwenden". Diesen Satz würde sie auch noch heute unterschreiben, sagt sie. Sie fliehe zwar nicht vor der Welt, doch ihre Kunst sei wie ein Gebet: „Ich bin ein gläubiger Mensch. Wenn alles wirr und unruhig sei, dann bete ich - ohne dabei sagen zu können, welcher Religion ich eigentlich angehöre. Es geht mir um Gott. Gott ist eine Kraft, die mich unsichtbar leitet.“


Affordable Art Fair, noch bis 18. November,
Hamburg Messe und Congress GmbH, Messeplatz 1, 20357 Hamburg, Halle A2.
Tägl. 11-18 Uhr, Fr. 11-20 Uhr.

Foto: Isabelle Hofmann