Bildende Kunst

Auf der Jahresversammlung der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten im Herbst 1893 treffen sich Ferdinand Hodler (1853-1918) und Cuno Amiet (1868-1961) zum ersten Mal. Etwa fünf Jahre später begegnen sich die Künstler erneut, denn der Schweizer Kunstsammler Oscar Miller beauftragt Amiet ein Porträt seines prominenten Kollegen zu malen „Portrait Ferdinand Hodler vor seinem Marignano-Bild“. Hodler ist sechsundvierzig Jahre alt als er 1898 den fünfzehn Jahre jüngeren Amiet kennen und schätzen lernt. Letzterer ist fasziniert von den symbolistischen Arbeiten seines Malerkollegen. Hodler dagegen bewundert den freien Pinselduktus und die expressive Farbigkeit in Amiets Bildern. Die Begegnung ist der Beginn einer etwa sieben Jahre dauernden Freundschaft.

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Hatte Hodler zu Beginn seiner Karriere noch den realistisch-impressionistischen Stil favorisiert, wendet er sich Mitte der 1880er-Jahre dem Symbolismus zu. Seine Kompositionen sind fortan geprägt von Allegorien, Metaphern und lebensphilosophischen Themen, die sich häufig mit Alter und Tod auseinander setzen. Die extrem realistische Bildsprache wird ergänzt durch ein von ihm entwickeltes Kompositionsprinzip, den Parallelismus, der sich über die Repetition gleicher Formen definiert. „Parallelismus nenne ich jede Art von Wiederholung. Sooft ich in der Natur den Reiz der Dinge am stärksten verspüre, ist es immer ein Eindruck von Einheit.“ Sein symbolistisches Bild „Die Nacht“ und der im parallelistischen Stil komponierte „Der Buchenwald“ machen Hodler schlagartig berühmt und festigen seinen Ruhm als Maler der schweizerischen Moderne.

Amiet dagegen steht noch am Anfang seiner Karriere. Bei einem Aufenthalt in der bretonischen Künstlerkolonie Pont-Aven lernt er Bilder von Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin kennen. Er ist so begeistert von der reinen ungebrochenen Farbsymbolik und den dynamischen Pinselstrichen, dass er seinen Malstil radikal ändert. Zurück in der Schweiz folgen kleinere Ausstellungen, die jedoch nicht den künstlerischen Durchbruch und kein finanzielles Einkommen bringen. Erste Erfolge stellen sich ein, als er gemeinsam mit Hodler 1897 auf der Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast vertreten ist. Auch auf den folgenden Schauen der Berliner und Wiener Sezessionen treten sie gemeinsam an. Wen wundert es, dass Amiet 1904 von der Wiener Presse als Hodler-Epigone etikettiert wird. Eine Kritik, der Hodler nicht widerspricht. Von dem Verhalten des Freundes zutiefst enttäuscht, kommt es zum Bruch der Freundschaft. Beider Wege trennen sich, sowohl künstlerisch als auch privat. Geschätzt wegen seiner farbintensiven und flächigen Malerei wird Amiet 1906 in die Künstlergruppe „Die Brücke“ aufgenommen. Hodlers Karriere in Deutschland endet abrupt, als er 1914 ein Edikt gegen die Beschießung der Kathedrale von Reims durch die preußische Armee unterzeichnet. Er, der ehemals erfolgreichste Schweizer Künstler im Ausland, wird im deutschen Kaiserreich zur persona non grata.

Ein Treffen der Freunde ergibt sich erst im Frühjahr 1918, als Amiet den todkranken Hodler besucht. Nach dessen Tod fährt er erneut nach Genf und malt ihn auf dem Totenbett „Ferdinand Hodler im Sarg“. Eine späte Versöhnung mit dem einstigen Weggefährten, aus dessen Schatten er sich befreite? „Bildnisbüste Ferdinand Hodler“ und „Stillleben mit Büsten und Blumen“ sind eine posthume Hommage.
Über seine Freundschaft wird Amiet später sagen: „Wir waren im Charakter zu verschieden, und das, was mich zum Malen reizte, war etwas anderes als das, um dessentwillen er malte.“ [...] „Er war ein leidender Mensch, das Leiden war ihm angeboren. Sein Leben war Verteidigung. Seinen ganzen Ehrgeiz setzte er darein, oben auf zu kommen, zu dominieren. Von Bild zu Bild, von Jahr zu Jahr stärker, intensiver.“

Betritt der Besucher die Ausstellungsräume, empfängt ihn ein Feuerwerk leuchtender Farben. Im unteren Oktogon, an prominenter Stelle positioniert sind „Die gelben Mädchen“ von Amiet und Hodlers „Frühling II. und III.“ Das Amietsche Bild ist eine Farbexplosion in Gelb: Zwei nackte Mädchen sitzen auf einer blühenden Löwenzahnwiese. Das gelbliche Inkarnat verwischt sich mit dem gelben Blütenmeer. Kontraste bilden nur die roten Lippen, die schwarze Haarschleife des einen und die rötlichen Haare des anderen Mädchens. Im Gegensatz zu Amiets Gelbrausch steht Hodlers durchkomponierte Darstellung. Sie zeigt einen dem Betrachter frontal zugewandten nackten, hockenden Jüngling und ein halbkniendes, in ein blaues Gewand gehülltes Mädchen in Profilansicht auf einer Wiese. Beide sind als Personifikation erwachender Gefühle im Frühling des Lebens zu verstehen. Überraschend ist, dass Hodler das Bild nach der ersten Präsentation auf der Wiener Sezession mehrmals überarbeitet, bis die Wiese dem gelben Blütenteppich von Amiet ähnelt.

„Die gelben Mädchen“ korrespondieren mit einem weiteren Frühlingsbild von Amiet „Der gelbe Hügel“: ein mimosengelber Berg, ein blauer Himmel, eine weiße Wolke und weiße Baumkronen sowie eine grün-gelbe Wiese. Was für ein Kontrast zu Hodlers arrivierten Bergdarstellungen.

Parallelen, aber auch Divergenzen weisen die Selbstbildnisse der beiden Künstler auf. Hodlers „Selbstbildnis“ von 1900 präsentiert sich in strenger Frontalität, nichts lenkt den Blick des Betrachters vom bärtigen Gesicht mit der ernsten Mine, dem stechenden Blick und den kurzen Haaren ab. Wählt der Ältere einen monochromen Bildhintergrund vor dem sich die Physiognomie besser abhebt, entscheidet sich Amiet in „Selbstbildnis mit Apfel“ für einen narrativen Hintergrund. Zwar übernimmt er die frontale Pose, aber sein Bildnis ist eingebettet in das Blätterdach eines Gartens und hält dem Betrachter einen Apfel entgegen. Kurze, breite und kraftvoll gesetzte Pinselstriche beleben das farbenfrohe Bild. Schon bald wendet sich der Jüngere von der Hodlerschen Frontalität ab und bevorzugt in späteren Werken die Dreiviertelansicht. Mit „Selbstbildnis in Rosa“, etwa zwei Jahre nach dem Bruch der Freundschaft entstanden, tritt Amiet endgültig aus dem Schatten seines Freundes: Im Stil des Pointillismus komponiert, bedecken rosa Farbtupfer Hintergrund und Körper. Auch Hodler wird sich in seinen späteren Selbstbildnissen dem Jüngeren annähern: Er hält zwar am monochromen Hintergrund fest, verzichtet aber auf Frontalität zugunsten einer Seitenansicht und expressiver Farbigkeit. „Selbstbildnis im grünen Kittel“ ist in kräftigen Gelb-Grüntönen koloriert und mit freiem, schrägen Pinselduktus modelliert. Irritierend an Hodler ist, dass er über zweihundert Selbstbildnisse in Form von Gemälden und Zeichnungen hinterlassen hat. Jede Lebensphase hält er akribisch fest, als wolle er sein Alter und den eigenen körperlichen Verfall dokumentieren.
Auch die farbenfrohen Gartendarstellungen sowie die Landschaftsbilder zeigen einen befruchtenden Dialog zwischen diesen so konträren Malerpersönlichkeiten.

Quasi als 'eyecatcher' präsentiert sich Amiets großformatiges Bild „Richesse du soir“ im oberen Oktogon. Die ganzfigurige Komposition zeigt fünf Frauen in Berner Tracht auf einer Blumenwiese stehend. Es ist gerade dieses Bild, für das Amiet als Hodler-Epigone kritisiert wird. Es erinnert stark an Hodlers parallelistische Frauenreihen. Zu recht, wie Amiet 1905 zugibt: „Ich sah bei ihm das erste Mal absolut bewusst Parallelismus. Auch eine Ordnung, wie ich sie noch bei keinem anderen Maler gesehen hatte. Je mehr ich das verstehen lernte, desto mehr war ich begeistert von ihm.“
Auch „Drei Frauen im Garten“ zeigen den Einfluss von Hodler. Das kleine Triptychon stellt drei posierende Frau in langen Gewändern dar, die mit einem durchgängigen Blumengarten miteinander verbunden sind. Eher befremdlich wirken auf den heutigen Betrachter Hodlers symbolistische Allegorien „Heilige Stunde“ und „Blick in die Unendlichkeit“ sowie „Ergriffenheit“ und „Entzücktes Weib“ in denen sich einzelne Frauengestalten oder Frauenriegen verzückt in eurythmischen Ausdrucks- und Tanzchoreographien verrenken. Weit weniger symbolträchtig sind dagegen die Porträts. Auch hier ist in Farbe und Motiv ein spannender Bezug zwischen Hodler und Amiet erkennbar.

Freundschaften sind etwas Fragiles, Künstlerfreundschaften anscheinend erst recht. Dass sie kein Leben lang halten, beweist die etwa sieben Jahre dauernde Beziehung zwischen Ferdinand Hodler und Cuno Amiet, die an der Dominanz des Älteren scheiterte. Erst nach dem Bruch mit Hodler, dem Nationalkünstler der Schweiz, gelang es Amiet sich aus dessen Schatten zu befreien und eigene künstlerische Wege zu gehen. Die Exponate belegen den befruchtenden Dialog zwischen diesen konträren Persönlichkeiten.


Die Ausstellung „Ferdinand Hodler und Cuno Amiet – Eine Künstlerfreundschaft zwischen Jugendstil und Moderne“ ist noch bis zum 1. Mai 2012 zu sehen.
Bucerius Kunstforum
Rathausmarkt 2
20095 Hamburg
Öffnungszeiten: täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr

Bildnachweise:
Header: Blick in die Ausstellung, Cuno Amiet; Richesse du soir, 1898/99, Schweizerische Eidgenossenschaft, als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Solothurn, Foto: Ulrich Perrey
Galerie:
01. Cuno Amiet (1868-1961): Die gelben Mädchen, 1931, Kunstmuseum Bern, © M. und D. Thalmann, CH-3360 Herzogenbuchsee © Kunstmuseum Bern
02. Ferdinand Hodler (1853-1918): Der Frühling III, um 1907, Privatsammlung Schweiz © SIK-ISEA, Zürich
03. Cuno Amiet (1868-1961): Der gelbe Hügel, 1903, Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung, © M. und D. Thalmann, CH-3360 Herzogenbuchsee © Kunstmuseum Solothurn
04. Ferdinand Hodler (1853-1918): Selbstbildnis, 1900, Staatsgalerie Stuttgart
05. Cuno Amiet (1868-1961): Selbstbildnis mit Apfel, 1903, Privatbesitz, Dauerleihgabe im Kunstmuseum Solothurn, © M. und D. Thalmann, CH-3360 Herzogenbuchsee, © SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)
06. Ferdinand Hodler (1853-1918): Bildnis Gertrud Müller, 1911, Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung, © SIK-ISEA, Zürich
07. Ferdinand Hodler (1853-1918): Genfersee von Caux aus, 1917, Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung, © Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung
08. Blick in die Ausstellung "Ferdinand Hodler und Cuno Amiet. Eine Künstlerfreundschaft zwischen Jugendstil und Moderne" Foto: Ulrich Perrey
09. Cuno Amiet (1868-1961): Der violette Hut (Bildnis Gertrud Müller), 1907, Kunstmuseum Solothurn, Dübi-Müller-Stiftung, © M. und D. Thalmann, CH-3360 Herzogenbuchsee, © SIK-ISEA, Zürich
10. Blick in die Ausstellung, Cuno Amiet: Im Garten, 1911, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, Sturzenegger-Stiftung, Foto: Ulrich Perrey