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Bildende Kunst

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Direktorin Ortrud Westheider hätte für diesen Schritt keine bessere Wahl treffen können: Allein die Begegnung mit dem „Zyklus 18. Oktober 1977“ – dem zehn Jahre nach dem Tod der RAF-Mitglieder in Stammheim entstandenen Schlüsselwerks Richters, das eigens aus New York anreiste, macht deutlich, welche überragende Bedeutung diesem Künstler zukommt: Richter übernahm in den unscharfen grauen Bildern die Rolle des Chronisten. Immer wieder, aber ganz besonders in dem Stammheim-Reigen legte er den Finger in die Wunde der Gesellschaft. Was kann man von Kunst mehr verlangen?! Der 15-teilige Zyklus, bildet im ersten Stock des Bucerius Kunst Forums jetzt den Höhepunkt der eindrucksvollen Ausstellung, in der Uwe M. Schneede, Kurator und Ex-Chef der Hamburger Kunsthalle, zum ersten Mal nicht die malerische Qualität der Verwischungen in den Vordergrund stellt, sondern die Motive, die sich Richter Mitte der 60er Jahre vornahm.

Es war die Zeit, in der die Malerei totgesagt war. Jeder, der sich zur Avantgarde zählte, suchte den Ausstieg aus dem Bild. Doch der gebürtige Dresdner, der kurz zuvor aus seiner Heimatstadt nach Düsseldorf geflüchtet war, dachte gar nicht daran, den Pinsel aus der Hand zu legen. Im Gegenteil: die Aktionen und Performances seiner Kollegen regten ihn zu einer völlig neuen Art der Malerei an – zu den „grauen Bildern“, die seinen Ruhm begründen sollten. Es sind allesamt Gemälde nach Fotos, die der Künstler aus Magazinen Wie „Stern“ oder „Quick“ ausschnitt. Die Motive suchte er scheinbar wahllos aus: Berühmte Persönlichkeiten, wie Jackie Kennedy oder Brigitte Bardot mit ihrer Mutter. Aber auch viele Unbekannte, wie die „Sekretärin“ (1964). Daneben entstanden Stillleben von banalen Alltagsgegenständen, wie einem Stuhl oder einer Lampe. Damals sagte Richter stets, die Motive seien ihm gleichgültig, es gehe ihm um die Experimente mit bildnerischen Möglichkeiten. „Das war eine Schutzbehauptung“, so Schneede heute. „Er wehrte alles Inhaltliche ab, um in Ruhe malen zu können“. Nachdem der Kurator die Motive unter die Lupe genommen hatte, ließen sich die Zusammenhänge rasch herstellen. Es handelte sich immer um Auseinandersetzungen: Zum einen mit Vorbildern oder Kollegen (so reagiert Richter mit seinem Stuhl auf den Fettstuhl von Beuys), zum anderen mit den Dingen, die dem ehemaligen DDR-Bürger noch fremd waren: Werbung und Mordgeschichten in den Medien. Richter entschied sich jedoch nie für die spektakulären Aufmacher-Fotos, sondern stets für „Nebenfotos“, die allein nicht entschlüsselbar sind. Wer weiß schon, dass „die Sekretärin“ ihren Chef zum Mord an dessen Ehefrau anstachelte? Oder dass die schemenhaft lächelnde „Frau Marlow“ einem Giftmord zum Opfer fiel?
Mit den Bildern der toten RAF-Mitglieder schloss Gerhard Richter 1988 den Werkkomplex der Gemälde nach Fotos ab. Ein programmatischer Schluss: Eine größere Intensität als hier konnte er in dem neuen Typus des Historienbildes nicht mehr erreichen.

„Gerhard Richter. Bilder einer Epoche“, bis 15. Mai, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 1, tägl. 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr
Der Bericht über „Unscharf. Nach Gerhard Richter“ erfolgt in der kommenden Ausgabe.
Abbildung Header: Gerhard Richter während der Arbeit am Zyklus, 18. Oktober 1977, 1988 © Foto: Timm Rautert
Galerie: Gerhard Richter
1. Motorboot, 1965, Privatsammlung © Gerhard Richter, Köln 2011
2. Zwei Fiat, 1964, Museum Frieder Burda, Baden-Baden © Gerhard Richter, Köln 2011
3. XL 513, 1964, Museum Frieder Burda, Baden-Baden © Gerhard Richter, Köln 2011
4. Flämische Krone, 1965, Privatsammlung © Gerhard Richter, Köln 2011
5. Sekretärin, 1964, Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland © Gerhard Richter, Köln 2011

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