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Bildende Kunst
Die Schau im Städel Museum macht sich auf Spurensuche und durchforscht sein umfangreiches Œuvre nach Vorbilder – von den Skulpturen der Antike bis zur Malerei des Manierismus. Ist Rubens ein Kopist? Ein Ideenklauer?

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Dem Besucher wird gleich zu Beginn des Rundgangs ein Beispiel für die Übernahme ikonographischer Details vor Augen geführt: Rubens’ Gemälde „Ecce Homo“, entstanden um 1612 und von der St. Petersburger Eremitage ausgeliehen, zeigt den muskulösen, leicht nach hinten geneigten Oberkörper Christi mit einer Dornenkrone und die Stigmata seiner Folterungen. Hinter den im Rücken gefesselten Armen steht der römische Statthalter Pontius Pilatus und präsentiert den gegeißelten Gottessohn. Motivgeber ist die antike römische Skulptur „Kentaur, von Cupido gezähmt“, aus dem 2. Jh. v. Chr. – in der Ausstellung als Abguss zu sehen. Der Liebesgott Cupido sitzt auf dem Rücken des gezähmten Kentaur, einem Fabelwesen halb Pferd, halb Mensch. In seinem Christus übernimmt Rubens den muskulösen Oberkörper des Kentauren und die im Rücken gebundenen Arme. Eine Original-Kreideskizze aus dem Jahr 1601, zu sehen neben der Ecce-Homo-Darstellung, gibt die dynamische Kraft des Mischwesens wieder.

Auch die frierende Venus, „Venus Frigida“ von 1614, eine Leihgabe aus dem Königlichen Museum der Schönen Künste in Antwerpen, findet ihr Vorbild in einer römischen Marmorskulptur aus dem 1. Jh. n. Chr.:„Venus, beim Bad überrascht“, hockt mit ihrem rechten Knie am Boden. Ihr Kopf ist nach rechts gedreht, der rechte über die linke Schulter gelegte Arm bedeckt ihre Brüste. Rubens nackte Liebesgöttin dagegen kauert mit ihrem Sohn Cupido unter einem Baum, während sich ein lüsterner Satyr mit einem Füllhorn nähert. Die Göttin präsentiert dem Betrachter nur ihr seitlich geneigtes Konterfei und ihren üppigen Rücken. Im Gegensatz zu der rundum zu bestaunende antiken Venus aus dem Archäologischen Nationalmuseum in Neapel.

Wann und wo hat Rubens diese antiken Schätze gesehen?
Peter Paul Rubens absolviert zunächst eine Ausbildung als Maler, bevor er Ende des 16. Jahrhunderts in die Antwerpener Malerzunft, die Lukasgilde, aufgenommen wird. Im Jahr 1600 geht der Einundzwanzigjährige für acht Jahre auf Studien- und Bildungsreise nach Italien – ein bis dato unbekannter Künstler. „Allein dem ungeachtet behaupte ich, es sei zur höchsten Vollkommenheit der Malerei notwendig, eine Kenntnis der Antike zu haben“, schreibt er später.

In Venedig, der ersten Station seiner Italienreise, besucht er die Sehenswürdigkeiten der Stadt, studiert in den Kirchen die Altarbilder von Tintoretto und Paolo Veronese. Eine Anstellung als Hofmaler beim Herzog von Mantua ermöglicht ihm Reisen durch Italien: Unter anderem nach Florenz – hier ist er Gast bei der Hochzeit Maria de Medici mit dem späteren französischen König Heinrich IV – und nach Rom. Mit offenen Augen studiert er die Kunstwelt Italiens, die legendären Malereien von Michelangelo, Tizian, Caravaggio oder Tintoretto. Er bestaunt die Kunstschätze der Florentiner Medici, die päpstliche Kunstsammlung im Vatikan, die Galleria Borghese und die Kunstkammer Farnese. Er kopiert nicht nur Malereien, sondern hält die antiken Marmorstatuen in unzähligen Skizzen fest: Aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven zeichnet und kopiert er ihre Anatomie, die Körperposen und Mimik. „Auf meinen Reisen habe ich nie versäumt, die öffentlich ausgestellten oder im Besitze von Privatpersonen befindlichen antiken Gegenstände anzusehen und zu studieren und gewisse seltene Dinge für Geld zu erstehen…“, schreibt er 1634.
Zurück in Antwerpen gründet er im Jahr 1609 eine eigene Wohnstatt und eine überaus florierende Werkstatt mit zahlreichen Gesellen und Lehrlingen, das „Rubenshaus“. „In diesem Saale sassen viele junge Maler, die alle an verschiedenen Stücken malten, welche mit Kreide von Hrn. Rubbens vorgezeichnet worden waren und auf denen er hier und da ein Farbenfleck [sic] angebracht hatte. Diese Bilder mussten die jungen Leute ganz in Farben ausführen, bis zuletzt Hr. Rubbens selbst das Ganze durch Striche und Farben zur Vollendung brachte“, berichtet Otto Sperling, Leibarzt des dänischen Königs, 1621.

Gesammelt in sogenannten Musterbüchern, dienen unzählige Skizzen und Kopien als Inspirationsquelle für Rubens eigene Bildkompositionen. Der Flame rezipiert zwar antike Skulpturen und Bildmotive aus berühmten Gemälden, verwandelt aber die Motivvorlagen zu neuen Bildfindungen. Bei der Verwandlung der Motive geht es Rubens nur um eines: seine Vorbilder zu übertreffen! Sein experimenteller Umgang mit Vorgaben ist durchaus legitim und entspricht dem gebräuchlichen Verfahren der bildenden Kunst im 16. und 17. Jahrhundert – ein Urheberrecht gibt es noch nicht. Die heutige Kunsttheorie spricht vom Prinzip der aemulatio (lat. Nacheiferung).
In Rubens riesigen Gemälden wimmelt es von sinnlichen Frauen- und Männerkörpern, von Landschaften und Architekturelementen. Grad so, als hätte er Angst vor der leeren Fläche, dem horror vacui (lat. Scheu vor der Leere), eine auf Aristoteles zurückgehende Theorie. Hinzu kommen dramatische Lichteffekte, eine ungeheure Dynamik in der Bewegung und wahre Farborgien sowie eine meisterliche, kaum zu übertreffende lebensnahe Darstellung der Haut.
„[Ich] gestehe, dass ich durch einen angeborenen Instinkt für große Bilder geeigneter bin als für kleine Kuriositäten“, so Rubens 1621.

Folgt der Besucher dem nach Bildmotiven und Themen geordneten Rundgang, finden sich noch zahlreiche prägnante Beispiele. Mittels direktem Vergleich von Vorbildern mit Rubens-Werken, gewähren sie einen faszinierenden Einblick in die Bildkonzeptionen und Motivverwandlungen des Malers. Dessen bildkünstlerisches Repertoire greift nicht nur auf die Antike zurück, sondern auch auf die Kunst der Renaissance und Werke seiner Zeitgenossen. Rubens „Grablegung“ nach Caravaggio, ist eine fast originalgetreue Kopie des Italieners. 1604 für die Kapelle der Familie in S. Maria in Vallicella (Chiesa Nuova) in Rom in Auftrag gegeben, zeigt das Bildprogramm die Grablegung des Toten. Um den Leichnam Christi gruppieren sich die Jungfrau Maria, Maria Magdalena, Nikodemus und Johannes sowie Maria von Cleofa, welche ihre Arme und Augen in einer theatralischen Geste zum Himmel erhebt. Rubens übernimmt die Bildkomposition, die Begleitpersonen, bis auf den Gestus der Armhebung. Er kopiert das leichenblasse Inkarnat des Gekreuzigten, die Trauer der Gruppe und die Chiaroscuro, die Licht- und Schatten Effekte.

Rubens ist aber nicht nur Kopist und Ideenklauer. Sein in der Schau ausgestelltes Selbstportrait um 1638 zeigt einen selbstbewussten Aristokraten in der modischen Kleidung seiner Zeit: großer Hut, das von einem Umhang verdeckte Gewand, weißer Spitzenkragen, Handschuh und Degen. Jeglicher Verweis auf seinen Malerberuf fehlt. Dabei ist der Sechzigjähre der Superstar seiner Zunft, überhäuft mit Aufträgen von Fürsten und Königen, vom Klerus und reichem Bürgertum. Doch er ist mehr als nur Maler und erfolgreicher Unternehmer: Er ist Diplomat der spanisch-habsburgischen Krone, reist imAuftrag von Friedrich Heinrich von Oranien, dem Statthalter der Vereinigten Niederlande, zu Friedensverhandlungen an die Höfe von England und Spanien, er ist Hofmaler von Erzherzog Albrecht VII. von Österreich und dessen Gemahlin Isabella von Spanien, den Regenten der spanischen Niederlande.

„Mit diesem Ausstellungsvorhaben können wir die Genialität eines außergewöhnlichen Künstlers in all ihren Facetten präsentieren“, betont Kurator Jochen Sander. „Rubens beeinflusste nicht nur zahlreiche nachfolgende Künstlergenerationen, sondern saugte auch selbst verschiedene Quellen für seine Bilderfindungen förmlich in sich ein. Unsere Ausstellung bietet die einmalige Gelegenheit, diesen kreativen und schöpferischen Prozess direkt nachzuvollziehen.“

Rubens. Kraft der Verwandlung

Zu sehen bis zum 21.5.2018 im Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main.
Die Öffnungszeiten sind: Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen
Weitere Informationen

Die Sonderausstellung ist eine Kooperation zwischen dem Städel Museum und dem Kunsthistorischen Museum in Wien, aus dessen umfassenden Rubens-Beständen alleine fünf Werke nach Frankfurt reisen.
Der Ausstellungskatalog ist im Hirmer Verlag, München, erschienen und behandelt alle in der Ausstellung in Frankfurt und Wien gezeigten Werke. Er enthält Aufsätze internationaler Rubensforscher, die in das breitgefächerte Themenfeld einführen.


Abbildungsnachweis:
Header: Ausstellungsansicht „Rubens. Kraft der Verwandlung". Foto: Städel Museum
Galerie:
01.Ecce homo, vor 1612, Staatliche Eremitage, Sankt Petersburg. Foto: © The State Hermitage Museum, Sankt Petersburg 2017
02. Selbstporträt, um 1638, Öl auf Leinwand, 110x85,5cm. Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Wien. © KHM-Museumsverband
03. Tod des Hippolytus, 1611-1613, Öl auf Kupfer, 50,2x70,8cm. The Fitzwilliam Museum, Cambridge. © The Fitzwilliam Museum, Cambridge
04. Modello für den Augustineraltar: Die Mystische Vermählung der heiligen Katharina (Vorderseite einer doppelseitig bemalten Tafel), um 1628, Öl auf Eichenholz, 64x49,2cm. Städel Museum, Frankfurt. © Städel Museum - ARTOTHEK
05. Die Grablegung Christi, um 1612, Öl auf Leinwand, 131,1x130,2cm. J. Paul Getty Museum, Los Angeles. © J. Paul Getty Museum
06. Pan und Syrinx, 1617. Museumslandschaft Hessen Kassel, Kassel. Gemäldegalerie Alte Meister. © MHK, Gemäldegalerie Alte Meister / Foto: Ute Brunzel
07. Ausstellungsansicht „Rubens. Kraft der Verwandlung". Foto: Städel Museum
08. Der Tugendheld von der Siegesgöttin bekrönt, um 1615/16, Öl auf Leinwand, 203x222cm. Gemäldegalerie Alte Meister. © Staatliche Kunstsammlungen Dresden / Foto: Hans-Peter Klut
09. Das Urteil des Paris, um 1639, Öl auf Leinwand, 199x381cm. Museo Nacional del Prado, Madrid. © Museo Nacional del Prado, Madrid
10. Haupt der Medusa, 1617/18, Öl auf Leinwand, 68,5x118 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien. © KHM-Museumsverband
11. Ausstellungsansicht „Rubens. Kraft der Verwandlung". Foto: Städel Museum

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