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Bildende Kunst
Gefangen in ihren virtuellen Welten, war ein Zusammentreffen der beiden nie vorgesehen - bis zu dem Tag, an dem Ralph beschließt, sein Spiel zu verlassen und einen neuen Ort für sich zu finden, an dem er endlich, seinem Charakter entsprechend, „der Gute“ sein darf. Ralph findet heraus, dass alle Videospielwelten über ein Netz miteinander verbunden sind und es unzählige Knotenpunkte und Schnittstellen darin gibt, worüber er in andere Welten gelangen und mit anderen Charakteren in Austausch treten kann. Über Schleusen, die sich öffnen und schließen, Daten und Informationen und dadurch auch Computercharaktere austauschen, ist ein Wandel zwischen den Welten und somit eine Verknüpfung wesentlicher Informationen (Bild-, Audio- und Videomaterialen) möglich.

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Bereits in den 60er Jahren wurden die Begriffe „Hypertext“ und „Hypermedium“ in der Medientheorie geprägt. Während Hypertexte als eine „non-lineare Form der Aneignung von Wissens“ (1) bezeichnet wurden und damit auf die Vielzahl von Interpretationsebenen in Texten und deren weiterführenden Denkanstößen (Links) hingewiesen wurde, wird das Internet als das erstes Hypermedium bezeichnet. Dies ist auf die Vernetzung und Abrufbarkeit von Text-, Audio- und Videodateien zurückzuführen und auf die Verlinkung zu weiteren Webseiten. Dadurch findet, wie im Hypertext durch non-lineare Aneignung und dem Austausch von Wissen eine Struktur des Datenaustausches, ähnlich der im Animationsfilm „Wreck it, Ralph!“, seine Anwendung.

RIXC Art Science Festival 2016
Diese Gedanken des Hypermediums (mit dem Internet als bekanntestem) wurden auf der „RIXC Open Fields Conference and Exhibition“ in Riga aufgegriffen und in einen neuen Kontext gebracht. Der viertägige Kongress, welcher in der lettischen Nationalbibliothek stattfand, befasste sich schwerpunktmäßig mit der Digitalisierung der Kunst. Während die Hochschulwelt noch klassisch nach „fine arts“ und „digital art“ trennt und diese Studiengänge häufig ohne gegenseitige Berührungspunkte koexistieren, wird dieser „Zustand“ von den Sprechern der Tagung scharf kritisiert. Kunst im 21. Jahrhundert lebt von der Verknüpfung von on- und offline, Digitalisierbarkeit und analoger Umsetzung, Interaktion und dem künstlerischen Ursprungsgedanken. Das Spannungsfeld, in dem sich Kunst heutzutage bewegt, drängt hin zum Austausch, zur weltweiten Verfügbarkeit, zur künstlerischen Teilhabe. Dass jedoch die „fine arts“ von der digitalen Kunst in ihrem Fortbestehen bedroht wären, ist nicht zu befürchten.

Problematiken, wie die des Urheberrechtsschutzes, der Kunst-Piraterie oder dem Verlust der Aura werden in diesem Kontext kritisch diskutiert. Die Fragen, wie man digitale Kunst und interaktive Installationen sinnvoll dokumentieren, archivieren und der Nachwelt zur Verfügung stellen soll, werden aufgeworfen. Handelt es sich denn dabei überhaupt noch um Kunst im herkömmlichen Sinne? Wird durch eine ständige Wiedergabe und globale Abrufbarkeit der Wert des Kunstwerks nicht völlig zerstört?

Jussi Parikka (University of Southampton) wies in seinem Vortrag „Art Methods, Cultural Institutions and Infrastructure“ auf die gegenwärtige Situation der Kunst in Zeiten der Digitalisierung hin. „Media Archaeology“ und der Begriff des Netzwerks war in seinen Ausführungen zentral. Doch unter was fällt „Digitale Kunst“ eigentlich? Kann hierbei von einer Form dokumentierter Realität gesprochen werden oder einer Erweiterung dieser? Und kann bei der Digitalisierung von Kunst nicht auch von der Kunst der Digitalisierung gesprochen werden: Die Kunst etwas einmal Lebendiges, in einer Ausstellung real zu erfahrendes, im Moment seiner Entstehung einzufangen und in Codes zu bannen – um es der Nachwelt zu erhalten? Doch wie soll etwas, das im Moment existiert, archiviert und vervielfältigt seinen eigentlichen Charakter behalten und worin besteht der Wert von Kunst, die das eigentliche originäre einzigartige Produkt gar nicht mehr anstrebt?
Parikka verwies auf Beispiele, wie Kunst heutzutage digitalisiert und global abrufbar vernetzt werden kann und zeigte dies an Erfolgen wie dem des Online-Versandhändlers Amazon, welcher in seinen Hauptstellen ausschließlich über ein Netz von Robotern, eingespeicherten Knotenpunkten und Verlinkungen arbeitet. Intelligente Technologie, die den Zugriff auf Millionen von Artikeln zulässt – ein System ähnlich dem eines Hypermediums. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass wir uns bereits in Zeiten des Post-Hypermediums oder New-Hypermediums bewegen.

Im Vortrag von Christiane Paul, ehemalige Kuratorin für digitale Kunst im Whitney Museum of American Art in New York, wird klar, dass die moderne Kunst längst alle Räume der Verlinkung, Vernetzung und des Digitalen für sich nutzt und Künstler aller Welt mit „Digital Art“ neue Wege beschreiten und diese Ansätze für sich wirken lassen. Das Post-Digitale-Zeitalter in dem wir uns laut den Vortragenden befinden, ist dabei Dreh- und Angelpunkt einer, sich an die Vorträge anschließenden, Diskussion. Zum einen scheint es kaum so, als wären wir bereits post also nach der Digitalisierung angekommen, sondern vielmehr mittendrin, zum anderen ist sei es auch fragwürdig, wann dieser Prozess abgeschlossen ist, sollte er es überhaupt je sein.

Open Fields Exhibition
Besonders die Ausstellung, welche sich unmittelbar an die Tagung anschloss und diese ergänzte, zeigte auf eindrucksvolle Weise, wie selbstsicher sich Kunst in Zeiten von technischem Fortschritt, ständiger Erreichbarkeit, Social Media, Forschung und Robotik positioniert. Die Besucher wurden hierbei auf allen Ebenen eingeladen, die gewohnten Pfade zu verlassen und die Welt mit anderen Augen zu sehen, zu hören, zu fühlen und zu verstehen. Drei große Säle, voll mit visuell ansprechenden, teils futuristisch anmutenden Exponaten forderten den Besucher heraus, sich auszuprobieren und zu staunen. Von biologischen Prozessen, wie das künstliche Bestäuben von Pflanzen, über Technik, die Farben, Temperaturen und weitere Umgebungswerte misst, bis hin zu neurotransmittalen interaktiven Kunstwerken, welche über die Pulsfrequenz der Besucher gesteuert werden, wird über digitale Kunst die Welt, wie wir sie kennen, hinterfragt und lehrreich und eindrucksvoll die Kunst der Digitalisierung auf die Probe gestellt.

 

Sound Installation "Offener Schaltkreis" von Christoph Haag, Martin Rumori, Franziska Windisch and Ludwig Zeller (DE), 2006-2016.
(2:30 Min). Video: Verena Eckl

Eines der vielen Highlights ist ein Kunstwerk, welches die Nationalbibliothek selbst einbindet. Nach dem Herunterladen einer eigens programmierten App kann der Smartphone-Nutzer über seine Kamera die Nationalbibliothek in einem ganz anderen Kontext betrachten. Wird diese nämlich außenstehend durch die App betrachtet, erscheint ein Kunstwerk in der Luft, welches sich konstant verändert („augmented reality“). Eine silbrige Wolke, in die mit einiger Fantasie verschiedene Formen oder Gesichter hineininterpretiert werden können. Diese Anwendung erstellte der Künstler Gints Gabrāns bereits für andere große Ausstellungen weltweit. Die lettische Nationalbibliothek reiht sich somit mit dem Guggenheim Museum und dem MOMA in New York in eine Reihe hochrangiger Museen und Schauplätze ein.

Die Ausstellung beantwortet viele Fragen, die in den Vorträgen und im Verlauf des Artikels aufgeworfen werden. Zunächst ist die Kunst, die dort gezeigt wird, eine temporäre, im Moment entstehende, welche sich maßgeblich auf die Interaktion mit dem Besucher stützt und auch ein Stück weit auf dessen Kenntnisse. Es verknüpfen sich die unterschiedlichsten Disziplinen in den Kunstwerken: Von Biologie, Mode, Flugzeugtechnik, Farbenherstellung, Psychologie, Gehirnstrommessung, Computer-Technologie, Social Media und Robotik, um nur einige Inhalte zu nennen. Wissenswelten der Besucher werden angezapft und erweitert, alte Kenntnisstände erweitert und überschrieben. Diese Form der Kunst ist bis ins kleinste Detail durchdacht und soll den Betrachter zum Staunen und Nachdenken anregen sowie zum selbst ausprobieren. Fest steht: Aufgenommen und archiviert hat digitale Kunst nicht denselben Effekt, denn die verlorene dreidimensionale Erfahrung nimmt dem Kunstwerk einige Erfahrungsebenen, die der Betrachter benötigt, um diese Kunstform in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen. Spannend ist hierbei vor allem die Tatsache, dass es nicht ausreicht digitale Kunst digital zu rezipieren, sondern es die analoge „Eins-zu-Eins“-Erfahrung eines Ausstellungsbesuches braucht, um diese Kunst in ihrer Gänze wertschätzen zu können. Kein Hypermedium ist bislang so weit entwickelt, diese Aneignung von digitaler Kunst zu simulieren oder zu ersetzen.

OPEN FIELDS. RIXC Art Science Festival 2016 Exhibition Riga
Weitere Informationen

Fußnote:
1. Kuhlen, Rainer (1991): Hypertext: ein nichtlineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Berlin/Heidelberg/New York (Springer), Seite 5.

Abbildungsnachweis:
Header: "Open Fields Exhibition", Eingangsbereich. Foto Verena Eckl
Galerie:
01. Lettische Nationalbibliothek. Foto: Verena Eckl
02.
Portrait Jussi Parikka. Quelle: University of Southampton
03. Portrait Christiane Paul. Foto: Kristīne Madjare
04. Biofeedback - Jan TORPUS (CH) and Jose NAVARRO (ES/CH)
. Foto: Verena Eckl
05. "SAN", Augumented Reality Gints GABRĀNS (LV), 2016. Foto: Verena Eckl
06. CRYPTO-CURRENCY TRADE PATTERN MELTING, Networked interactive installation, 2016 von Jānis GARANČS (LV). Foto: Verena Eckl
07. Blick in die Ausstellung. Foto: Verena Eckl
08. und 09. "1984x1984", Shadow Box 10, Interactive computer generated installation, 2015 von Rafael Lozano-Hemmer (MX / CA). Fotos: Verena Eckl
10. POND BATTERY. FLUCTUATIONS OF MICRO WORLDS
, Time-lapse video, 3D milled wooden sculpture, 2016 von Rasa Smite und Raitis Smits / RIXC (LV). Foto: Verena Eckl.

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