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Bildende Kunst

Der Eindruck des Unbehagens verdichtet sich bei der Begegnung mit der „Zimmer Installation": Ein gutbürgerliches Interieur, so scheint es, Sessel, Gemälde, dicht an dicht, in Petersburger Hängung. Ein Jagdzimmer vielleicht mit ausgestopften Tieren. Deren Zahl ist allerdings irritierend groß. Zu groß für Gemütlichkeit. Und die kleinen Ölformate an der Bretterwand zeigen Irritierendes: Schafe in den Betten eines Krankenhaussaales – „Weide meine Lämmer" ist der Titel. Ein Tanz um einen Maibaum, an dem schemenhaft eine Figur zu sehen ist, möglicherweise gefesselt? Ist der fröhliche Tanz in Wirklichkeit ein Autodafé? Das Bild eines einzelnen Menschenauges in einem Rahmen-oval, das eines Eulenauges in einem anderen. Eine Prozession, Mädchen in Weiß, vor toter Natur.

Malerei von Justine Otto im Zehntspeicher in GartowWie unter einem Brennglas sind in diesem Zimmerraum im Zehntspeicher bei der aktuellen Ausstellung im Programm des Westwendischen Kunstvereins bis Mitte September die Welten zu sehen, die Justine Otto in Bilder bannt. Welten, die sich zwischen zerstörtem Märchen, dalieskem Alptraum, science-fictionesken Landschaften und in katastrophischen Räumen bewegen, die aussehen wie die verlassene Zentrale von Tschernobyl nach dem GAU. Beunruhigende Welten – in Serie. Gereiht wie Perlen des Abseitigen auf einer Schnur. Ganz unterschiedlich scheinbar, alle gleich im Kern.

So weit, so gut. Aber Dauerdestruktion ist ermüdend. Vielschichtigkeit kennen diese Bilder zwar im Detail, in der ausgefeilten malerischen Technik, aber nicht im Affekt. So fremd die Welt in den Bildern Justine Ottos wird, so eindimensional ist sie. „Alles geht kaputt, alles geht in Schutt, und ich lach’?“, wie es die Punkband Hans-A-Plast aus Hannover vor 30 Jahren sang. Wenn Neo Rauch, mit dem Kritiker die Malerin aus Hamburg des öfteren vergleichen, den Magischen Realismus pflegt, fokussiert Justine Otto einen Magischen Obstruktionismus. In diesen Räumen der Bilder, die wirken, als sei in ihnen das Reale und das Surreale in eins gefallen, bewegen sich Menschen, Frauen zumeist. „Stonemilker" heißt ein Bild nach einem Song von Björk und könnte eine Szene aus dem Volksmärchen von „Gretel und Gretel" zeigen, zwei Mädchen, verloren in einem Ruinen-Urwald. Der „Letzte Tanz" zeigt eine Gruppe weiblicher Naturderwische, „Gesangverein Liederkranz" lässt die Schatten einer biedermeierlichen Welt aufscheinen. Eine Art malerisches Regietheater (das war mal provokativ – war) in gebrochenen braungrünen Farben. Ein Betrachter der Bilder schrieb lyrisch ins Gästebuch: „Ich wusste gar nicht, dass auch Farben ein Skelett haben.“

Verwandtschaften zum Stil von Neo Rauch in diesen Bildern zu entdecken ist nicht schwer, auch Edward Hopper ist ihnen kontrapunktisch verwandt, Pop Art ein Bezugspunkt der Bilder, deren Farben so stark wie sinister sind. Oft entstehen die Bilder Justine Ottos nach Fotovorlagen, indem sie malt, kehrt sie die Bilder hinter den Bildern heraus, die Schatten des Heimeligen. „Für mich muss Kunst immer einen Haken haben", sagt die in Polen aufgewachsene Justine Otto, die sich als „immer eine Vollblutmalerin" versteht.

Den Blick vom Dargestellten auf die Maltechnik zu lenken macht deutlich, was Justine Otto meint, wenn sie sagt, dass es „mir immer schon um die Malerei, um den Duktus ging". Der bewegt-expressive Strich, das Spiel der sich mischenden Farben, die sich je nach Distanz zwischen Betrachter und Bild zu neuen Tönen vereinen oder beim Näherkommen in ihre Bestandteile zerlegen, sie werden besonders deutlich in den beiden Portrait-Folgen, einer unbetitelten mit Frauenköpfen und der „Napoleon-Serie", dem männlichen Pendant dazu.

Justine Otto: Hidden Persuaders
noch bis 18. September 2016 zu sehen im Westwendischen Kunstverein Zehntspeicher, 29471 Gartow-Quarnstedt
Geöffnet: Freitag 16-18 Uhr, Samstag 12-16 Uhr, Sonntag 12-16 Uhr
www.westwendischer-kunstverein.de


Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus Plakatmotiv
Justine Otto beim Aufbau der Ausstellung. Foto: Thomas Janssen.

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