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Bildende Kunst

Die aktuelle Ausstellung der Gemäldegalerie in Berlin geht diesem Phänomen nach. Botticelli-Werke aus eigenem Bestand – die Gemäldegalerie besitzt die bedeutendste Botticelli-Sammlung außerhalb Italiens – werden ergänzt um Leihgaben internationaler Museen. Sie stehen modernen Adaptionen gegenüber: Malereien von René Magritte, Andy Warhol, Tamara de Lempicka, Edward Baird, Yin Xin bis Dante Gabriel Rossetti und anderen. Hinzu kommen Fotografien von Rineke Dijkstra, David LaChapelle oder Cindy Sherman sowie Zeichnungen, Skulpturen, Videos, Objekte aus Mode und Design.

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„Kein anderer Künstler wurde zu so unterschiedlichen Zeiten auf so unterschiedliche Weise neu entdeckt. Und immer waren es andere Aspekte, die den Betrachter begeisterten", erklärt Ruben Rebmann, Kurator der Ausstellung. Der Ausstellungsparcour ist – wie der Untertitel verrät – als Zeitreise rückwärts inszeniert: Von der zeitgenössischen Interpretation über Schlüsselwerke seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert bis hin zu den Meisterwerken der Florentiner Malerei des Quattrocento.

Als Einstieg empfängt den Besucher in der Rotunde der Gemäldegalerie „Botticelli III", eine Leichtmetallfelge des italienischen Herstellers OZ, motivisch angelehnt an die Brosche der linken Grazie in Botticellis Primavera. Der Saal „Botticelli universal" offenbart, wie unglaublich viele Künstler sich mit den Arbeiten des Florentiner auseinander setzen. Die Bildmotive, mal verfremdet mal kitschig oder humoristisch karikiert, bleiben immer erkennbar. Fragt sich nur, ob der Rückgriff auf das Original die eigenen Bilder aufwerten soll. So befriedigt der amerikanische Fotograf, Filmemacher und Videokünstler David LaChapelle das allgemeine Kitschbedürfnis. In einer sexuell aufgeladenen Fotoarbeit „Rebirth of Venus" inszeniert er seine Venus als blondes Pin-up-girl auf High Heels inmitten einer üppigen, grellbunten Südseelandschaft, flankiert von zwei muskulösen Männern, von denen der linke die Scham der Göttin mit einer Muschel bedeckt. „Rape of Africa", seine moderne Version von Botticellis „Venus und Mars", kritisiert die Ausbeutung des schwarzen Kontinents, die Gier nach Macht und Gold. LaChapelles Venus ist das schwarze Topmodell Naomi Campbell, Mars das weiße Modell Caleb Lane. Die Komposition zeigt das berühmte Paar der antiken Mythologie nach dem Liebesakt, umgeben von Tieren, Waffen, Schmuck und Werbung für Waschmittel. Während Mars erschöpft auf seiner Kriegsbeute schläft, sind Botticellis Faune mit Waffen spielende Kindersoldaten.

Der Chinese Yin Xin malt als asiatische Adaption eine schwarzhaarige Venus mit Schlitzaugen. Pop-Art-Künstler Andy Warhol zitiert den Kopf der Botticelli-Schönheit mit den wehenden Haaren in zwei farbigen Siebdrucken. Verblüffend Tomoko Nagaos farbenfrohe Paraphrase auf die Geburt der Venus. Im Stil des Superflat, einer postmodernen japanischen Kunstbewegung, skizziert die Künstlerin die Venus und ihr göttliches Personal als comicartige Manga-Figuren: Venus steht auf einer Spielkonsole umgeben von einem Meer aus italienischen Konsumartikeln. Den Himmel bedecken Flugzeuge der Billig-Airline „easy jet“. Der Surrealist René Magritte malt die Flora aus Primavera auf den Rücken eines Mannes mit Melone, der vor einem Frühlingswald steht. Salvador Dali setzt seiner Venus einen Fischkopf auf. Bei Alain Jacquet verschmilzt ihre Schönheit zu einer Zapfsäule mit der Shell-Muschel vor der Scham. Selbst die Haute Couture nutzt Botticellis Motive als Teil ihrer Marketing-Strategie. Dolce & Gabbanas Kleid und Hosenanzug aus der 1993er-Kollektion sind puzzelartig mit der Geburt der Venus bedruckt. Bill Violas Video-Installation „Going Forth By Day" kreist als Endlosschleife um die Themen Geburt und Tod, die Transformation des Körpers und Jenseitserfahrung.

Nach dieser Fülle von Rezeptionen geht es in den mittleren Ausstellungsraum. Hier trifft der Besucher auf die Präraffaeliten, eine Gruppe junger Engländer wie Aubrey Beardsley, Edward Burne-Jones oder Dante Gabriel Rossetti, welche Mitte des 19. Jahrhunderts Botticellis Tafelbilder und Zeichnungen in der National Gallery London kopieren. Ziel ist es, die Kunst der Frührenaissance wieder aufleben zu lassen, vor allen Dingen Botticellis ästhetische Frauengestalten. In üppig-dekorativem Stil und leuchtenden Farben - von der Kunstgeschichte als englischer Symbolismus gefeiert - widmen sich die Künstler neben allegorischen Themen der Natur, deren Flora und Fauna sie akribisch malen. Weibliche Figuren werden analog zu Botticellis Venus oder Primavera rezipiert. Schöne Beispiele sind „Liebe" und „Die Mühle" von Edward Burne-Jones oder „Der Tagtraum", „La Ghirlandata" und „Silence" von Dante Gabriel Rosetti.

Im letzten Raum dann endlich die Meisterwerke florentinischer Frührenaissance: An der Außenwand eines mit schwarzem Schiefer verkleideten Kubus hängen rund fünfzig Tafelbilder sakraler Kunst. In opulenten Goldrahmen präsentieren sich Altarbilder, Heiligen- und Madonnenbilder, Porträts und Allegorien – Sandro Botticelli und seiner Werkstatt zugeschrieben sowie unbekannten Meistern. Die acht Werke aus dem Besitz der Gemäldegalerie ergänzen Leihgaben aus den USA und Italien, aus London und Paris. Zu den Highlights gehören unter anderem der „Bardi Altar". Das Altarbild des Florentiner Kaufmanns Giovanni d'Agnolo de Bardi zeigt die thronende Madonna mit dem Kind, umgeben von Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten. „Der Heilige Sebastian", an einen Baum gebunden und von Pfeilen durchbohrt, überlebt der Legende nach das Martyrium. Oder Botticellis berühmte „Venus", jetzt eine Darstellung ohne Meer und Muschel, ohne göttliche Begleiter. Zahlreiche Portraits, darunter das Bildnis Giuliano de' Medici, der im April 1478 einer Verschwörung zum Opfer fiel. Und „Porträt einer Dame", der stadtbekannten Florentiner Schönheit Simonetta Vespucci zugeschrieben. Von seinen rund fünfhundert Werken hat Botticelli nur zwei signiert, welche die Schau im Inneren des rot ausgeschlagenen Kubus als Höhepunkt präsentiert: Die "Mystische Geburt" mit einer rätselhaften griechischen Inschrift am oberen Bildrand und eine Zeichnung zu Dantes Göttlicher Komödie „Paradiso", auf der ein kleiner Engel eine Tafel mit dem Namen Di Mariano hält, dem Geburtsnamen Botticellis: Alessandro di Mariano Filipepi.

Wie kommt es, dass Botticelli und seine Werke heute so eine Renaissance erleben? „Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Botticelli nahezu in Vergessenheit geraten. Die allgemeine Verehrung der Hochrenaissance und allen voran Raffaels hatte die Erinnerung an die Generation der Frührenaissance weitgehend verdrängt", so der Kunsthistoriker Ulrich Rehm. Den Präraffaeliten, heißt es, sei die Wiederentdeckung Botticellis zu verdanken. Stimmt nicht ganz, denn bereits 1830 erwirbt der Preußische Staat die komplette Botticelli-Sammlung des in Berlin lebenden englischen Kaufmann Edward Solly, rechtzeitig zur Eröffnung des Königlichen Museums, heute Gemäldegalerie, auf der Berliner Museumsinsel. In den folgenden Jahren ergänzt die Galerie die Sammlung durch Neuerwerbungen, darunter das Profilporträt Giuliano de' Medici. Insofern ist es die Gemäldegalerie, die einen maßgeblichen Anteil an der Wiederentdeckung des Florentiner Malers hat, der in den letzten Jahrzehnten immer mehr Kunstschaffende und ein interessiertes Publikum in seinen Bann zieht.
Bleibt die Frage, warum Botticelli, explizit seine Venus, zur Ikone der Werbebranche werden konnte. Kunst wertet eine Marke auf, Kunst ist zeitlos wissen Marketingstrategen. So verbindet der Konsument mit der Venus keine pornografische oder sexistische Erotik, sondern zeitlose Schönheit und Anmut, Tugend, Reinheit und Natürlichkeit. Diese Eigenschaften, verbunden mit ihrer göttlichen Aura, sollen sich auf ein Produkt übertragen. Die Schöne wirbt für Kosmetika, Rasierklingen „göttlich glatte Haut", Klodeckel, Mineralwasser und vieles mehr. Ihr Motiv schmückt Kaffeetassen und Dosen, Bettwäsche, Handtücher und Servietten, das Cover von „Der Spiegel" (Der Diätwahn, 2005, Ausgabe 25). Lady Gaga promotet ihr Album „Artpop" als Venus-Girl.

„Von Botticelli geht ein enormer Reiz aus. Botticelli ist ein Faszinosum der Kunstgeschichte", so Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. „Der Begriff Botticelli hat sich fast gelöst von den Originalen und ist präsent in aller Munde, in unendlich vielen Bildzitaten, aber kaum einer kennt die Originale."

Die Ausstellung „Die Botticelli Renaissance" ist bis 24. Januar 2016 in der Gemäldegalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind: Montag geschlossen, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18.00 Uhr, Donnerstag von 10 bis 22 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.
www.smb.museum.de

Im Anschluss an die Präsentation in Berlin wird die Ausstellung unter dem Titel „Botticelli Reimagined“ vom 5. März bis zum 3. Juli 2016 im Victoria and Albert Museum, London, zu sehen sein.


Abbildungsdnachweis:
Header: Blick in die Ausstellung "The Botticelli Renaissance". Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, 2015. Foto: Achim Kleuker
Galerie:
01. Fahne zur Ausstellung "The Botticelli Renaissamce". Foto: Christel Busch
02. Sandro Botticelli: Venus, 1490. Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders
03. Sandro Botticelli: Giuliano de' Medici, 1478. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders
03. Sandro Botticelli: Portrait einer Dame (Smeralda Bandinelli), 1470-75. Victoria and Albert Museum, London
05. Sandro Botticelli: Porträt eines jungen Mannes, um 1480–1485. Andrew W. Mellon Collection, National Gallery of Art, Washington D.C. © Courtesy National Gallery of Art, Washington
06. Blick in die Ausstellung "The Botticelli Renaissance". Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, 2015. Foto: Achim Kleuker
07. Sandro Botticelli: Bardi-Altar, 1484/85. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Jörg P. Anders
08. Sandro Botticelli: Mystische Geburt, 1500. © The National Gallery, London
09.
Blick in die Ausstellung "The Botticelli Renaissance". Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, 2015. Foto: Achim Kleuker
10.
Edgar Degas: Venus (nach Botticelli), 1858/59. Peter Schälchli, Zürich
11. Antonio Donghi: Donna al caffè (Frau im Café), 1931. © 2015 Archivio Fotografico - Fondazione. Musei Civici di Venezia
12.
David LaChapelle: Rebirth of Venus, 2009. Courtesy David LaChapelle Studio
13. Tomoko Nagao: Botticelli - The Birth of Venus with Baci, Esselunga, Barilla, PSP and EasyJet, 2012. Tomoko Nagao
14. und 15. Blick in die Ausstellung "The Botticelli Renaissance". Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, 2015. Foto: Achim Kleuker
16. OZ RACING S.P.A: Botticelli III (Felge), 2010. © Staatliche Museen zu Berlin / Achim Kleuker.

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