Bildende Kunst

Man kann sich gut vorstellen, wie die Damen der Gesellschaft im erzkonservativen Winterthur zu Beginn des 20. Jahrhunderts getuschelt haben: „Ehemals herrschte ja der gute Ton bei den Hahnlosers. Nun aber ist es der Vallotton. Hedy soll ja ein Faible für seine Nackten haben und hängt sie auch noch in den Salon. Was für ein Skandal! Und überhaupt, wie kann man nur das ganze Haus mit Kunst tapezieren. Selbst das Bad ist mit Bildern gepflastert.“

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So oder so ähnlich ereiferte sich Winterthurs Hautevolee über die Villa Flora und ihre Besitzer, doch Hedy Hahnloser-Bühler (1873-1952) gab nichts auf das Geschwätz. Die Fabrikantentochter, beschrieben als „revolutionäre Bürgerliche, die kein Blatt vor den Mund nahm“, sammelte ohne Vorurteile und mit untrüglichem Instinkt für Qualität. Der Aufbau einer Sammlung schweizer- und französische Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein Gemeinschaftsprojekt des Ehepaars Hahnloser, doch Hedy war die treibende Kraft. Auf Ihr Urteil hörte ihr Mann, der angesehene Augenarzt Arthur Hahnloser, der in der Villa Flora zuerst eine Augenklinik führte.

Hedy hatte in München Malerei studiert, dort unter anderem Arnold Böcklin, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Franz Marc kennengelernt und begriffen, dass ihr Talent nicht reichte, am Puls der Zeit Neues zu schaffen. So widmete sie sich dem Kunsthandwerk, übrigens mit großem Erfolg, und baute eine Kunstsammlung der Nabis, Fauves und ihrer Vorläufer auf, die ob ihres Umfangs und ihrer für damalige Begriffe ungeheuren Kühnheit noch heute Staunen macht. Den Anfang machten die Eidgenossen, Giovanni Giacometti (1868-1933), der Vater von Alberto, der in seinen stillen, ländlichen Motiven einen Weg aus dem Impressionismus suchte. Dann kam Ferdinand Hodler hinzu, der kraftvolle Symbolist, dessen junger „Kirschbaum“ von 1906 als erstes erworben wurde. Wenig später Felix Vallotton, der zum engen Freund der Hahnlosers wurde, die ganze Familie porträtierte und das Ehepaar künstlerisch maßgeblich beeinflusste. In Paris stellte er den Kontakt zu Pierre Bonnard, Edourd Vuillard, Henri Manguin und Henri Matisse her, alles Maler, die später zu Freunden wurden und deren Werke die Villa Flora zunehmend füllten.

Um die Postimpressionisten, die damalige Avantgarde, besser zu verstehen, beschäftigte sich das kunstsinnige Paar auch mit ihren Vorläufern, insbesondere mit Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Auguste Renoir und Edouard Manet, wie die Hamburger Ausstellung zeigt.

In der Galerie der Gegenwart werden nun 200 repräsentative Gemälde vorgestellt. Porträts, Interieurs, Stillleben und Landschaften, die – insbesondere bei den Postimpressionisten - von einer flächigen Raumauffassung, einer hohen Farbintensität und einer Vorliebe für das Ornamentale zeugen.

Beim Rundgang durch die farblich manchmal zu kräftig gehaltenen Räume wird aber auch deutlich, wie herzlich und intensiv der Austausch zwischen dem Sammlerpaar und ihren Künstlerfreunden war: Immer wieder taucht Hedy auf, lesend im Garten von Henri Manguin festgehalten („Die Theestunde in der Villa Flora, 1912) oder bei einer von Pierre Bonnard festgehaltenen „Promenade en mer“ auf dem Segelboot.

Selbstredend sind hier nicht nur Meisterwerke zu sehen, sondern vielfach auch Studien und Ölskizzen auf Karton, gerade das macht ja den intimen Charakter einer Privatsammlung aus. Zur atmosphärisch gelungenen Ausstellung trägt insbesondere der Auftakt bei: Eine Dia-Show mit alten Schwarz-Weiss-Fotos, führt Familie, Freunde und Ambiente der Villa Flora vor Augen und gibt dem Zuschauer das Gefühl, den Hahnlosers einen Besuch abzustatten.

Zwischendrin gibt es dann noch ein paar Abstecher nach Hamburg und in die Gegenwartskunst: Alfred Lichtwark, bekanntermaßen ein großer Fan der Franzosen, hatte Bonnard, Vuillard und Albert Marquet um 1913 in die Hansestadt eingeladen. Die Bilder, die hier von Alster und Elbe entstanden, ergänzen die Schau nun ebenso, wie die Foto- und Filmarbeiten dreier junger Künstlerinnen, Ursula Palla, Nathalie David und Judith Abert, die sich von der Villa Flora und ihrer einzigartigen Kollektion inspirieren ließen. Judith Albert beispielsweise nimmt mit ihrem Video-Loop „Die Nackte mit dem orangenen Schal“ Bezug auf das wohl spektakulärste und mit Abstand am meist diskutierte Bild der Schau: „die Weiße und die Schwarze“ von Felix Vallotton. Es ist eine Paraphrase auf Edouard Manets berühmtes Olympia-Gemälde von 1863, auf dem eine schwarze Dienerin ihrer auf dem Bett nackt hingegossenen weißen Herrin Blumen bringt. Nur kehrt Vallotton die Machtverhältnisse frech um: Hier sitzt eine selbstbewusst rauchende Schwarze in traditioneller Tracht am Bettrand und mustert abschätzig die alabasterhäutige Schöne, die mit stark geröteten Wangen und aufgestellten Brustwarzen vor ihr schlummert. Wer sich in dieses Gemälde hineinversenkt, spürt die erotische Spannung zwischen den beiden Frauen. Wie sonst ist die „Zigarette danach“ wohl zu interpretieren?!


Verzauberte Zeit

Cézanne, van Gogh, Bonnard, Manguin
Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler
Zu sehen bis zum 16. August in der Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Glockengießer Wall, 20099 Hamburg
Die Ausstellung wird anschließend in veränderter Zusammenstellung im Musée Marmottan Monet (Paris), im Kunstmuseum Moritzburg (Halle/Saale) und in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen sein.

Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog (116 Seiten) mit wissenschaftlichen Texten von Angelika Affentranger-Kirchrath, Margrit Hahnloser-Ingold, Hubertus Gaßner und Daniel Koep zur Kunst- und Sammlungsgeschichte der Villa Flora. Die Publikation ist im Museumsshop erhältlich. Auf Twitter wird die Ausstellung unter #VerzauberteZeit begleitend kommuniziert.

Kuratoren: Prof. Dr. Hubertus Gaßner, Dr. Angelika Affentranger-Kirchrath, Dr. Daniel Koep Kuratorische Assistenz: Anna Heinze

Weitere Informationen

Abbildungsnachweis: Fotos, wenn nicht anders angegeben: Reto Pedrini, Zürich
Header: Félix Vallotton (1865-1925): La Blanche et la Noire (Die Weiße und die Schwarze), 1913 , Öl auf Leinwand, 114x147cm; Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur.
Galerie:
01. Paul Cézanne (1839-1906): Portrait de l’Artiste (Porträt des Künstlers), 1877/78, Öl auf Leinwand, 25,5x19cm; Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur.
02. Vincent van Gogh (1853-1890): Le Semeur (Der Sähmann), 1888, Öl auf Leinwand, 72x91,5cm. Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur.
03. Pierre Bonnard (1867-1947): Promenade en Mer (Segelpartie auf dem Meer), 1924, Öl auf Leinwand, 98x103cm, Privatsammlung. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.
04. Henri Manguin (1874-1949): Le Thé à la Flora, Winterthur, 1912 Öl auf Leinwand, 116x89cm, Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
05. Félix Vallotton (1865-1925): La Grève Blanche, Vasouy , 1913, Öl auf Leinwand, 73x54cm; Privatsammlung. Foto: Prolith AG, Urtenen, Markus Mühlhei
06. Henri Matisse (1869-1954): Nice, Cahier noir, 1918, Öl auf Leinwand, 33x 40,7cm; Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur© Succession H. Matisse / VG Bild-Kunst, Bonn 2014/15
07. Pierre Bonnard: Palais de Glace ou Les Patineurs , 1896/98, Öl auf Karton über Holz, 100x75cm; Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 201
08. Aristide Maillol (1861-1944) Flore (Flora), um 1909–1910 Bronzeguss, 163x47,5x37cm; Kunstmuseum Winterthur, Geschenk von Lisa Hahnloser-Jäggli und Prof. Dr. Hans R. Hahnloser, 1959 Photo: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Lutz Hartman
09. Hedy, Paul, August, Arthur, Ida und Emil Hahnloser, vor Dezember 1910. © Archiv Villa Flora.