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Architektur

Um zum Architekturzentrum am Gammel Dok in Kopenhagen zu kommen, muss ich quer durch die Stadt. Mein Weg führt mich zunächst durch den alten Botanischen Garten mit seinen gläsernen Palmenhäusern aus dem Jahr 1874 (Architekt: Peter Christian Bønnecke). Die deutliche Inspiration an den Crystal Palace in London ist unübersehbar. Eine Wendeltreppe führt in die feucht-schwüle Kuppel und gibt einen wunderbaren Blick auf die gesamte Anlage frei.

Die Gothersgade weiter entlang bis zum Nyhavn und ich stehe schließlich am Schauspielhaus, genieße den Blick auf den Hafen und die vielen Boote und Schiffe. Schräg gegenüber, auf einer der Inseln, die vom alten Stadtgraben umgeben sind, liegt die Nationaloper mit der riesigen herausragenden Dachkonstruktion. Dort drüben mischen sich alte und neue Architekturauffassungen, es gibt Experimentierfelder und mondänes Leben auf Segelbooten und umgebauten Kuttern. Die Fußgängerbrücke, die zukünftig hier den direkten Weg über den Hafensund vereinfacht, ist noch nicht fertig gebaut, so steht mir der sogenannte Hafenbus, eine Fährverbindung, oder der Weg über die südlich gelegene Knippelsbro zur Verfügung.

In einem der alten Speichergebäude aus dem 18. Jahrhundert ist das Dänische Architekturzentrum (DAC) untergebracht. Es ist kein Architekturmuseum im klassischen Sinn, es ist vielmehr ein Ort, „an dem dänische Architektur durch Ausstellungen, Veranstaltungen und Informationsdienste gefördert werden soll“, heißt es in der hauseigenen Broschüre. Das Bauministerium stellte das Gebäude mit der Auflage zu Verfügung, dass sich das Architekturzentrum darauf konzentrieren sollte, die dänische Bauindustrie anzukurbeln. „Es dauerte einige Jahre, die Forderung abzuschütteln, doch heute ist das Zentrum eine eigenständige Institution, die zwar teilweise vom Bau- und Kultusministerium finanziert wird, jedoch auch von privaten Zuschüssen und Sponsorengeldern lebt. Unabhängig von Staat, Stadt und Industrie können die vier Architekten, die das Haus führen, heute nach ihren eigenen Zielsetzungen agieren. Ihr Anliegen ist es, nicht nur Architekten anzuziehen, sondern vor allem das architektonisch nicht ausgebildete Publikum“.

Die große Hauptausstellung erstreckt sich auf das gesamte Erdgeschoss: „The Heart oft he Stone“ stellt die neuesten Architekturen der Metropole vor. Anfangs noch recht didaktisch, der Besucher fühlt sich in fast komplett abgedunkelten Räumen durch Materialien: Stein, Stahl, Dämmstoffe, Holz, etc. bis er schließlich auch das sehen darf, worum es im Kern geht, nämlich wie sich die Materialien zusammen anfühlen, ansehen lassen und ein modernes Stadtbild prägen können. Close-up III heißt die aktuelle, vom Wissenschaftsjournalisten Tor Nørretranders kuratierte, Ausstellung im Untertitel und stellt das Kopenhagener Architekturbüro von Lundgaard & Tranberg vor. Ein riesiges, umgehbares Modell des Tietgen Studentenwohnheims (Tietgenkollegiet) bildet den zentralen Punkt der Schau. Der kreisrunde Bau bildet mit seinen Fassaden im Außen- und Innenbereich ein komplexes Netzwerk. Einzelne, schachtelartige und innen, erstaunlich großzügige Wohnräumen dienen studentischen Wohngemeinschaften. Überhaupt scheint das soziale Miteinander eine wesentliche Bedeutung zu haben, denn es gibt viele Gemeinschaftsorte. Eine ruhige, unaufgeregte Stadtlandschaft umgibt den siebengeschossigen Ringbau. Besonders schön ist das abendlich beleuchtete Gebäude mit Spiegelung im benachbarten Kanal.
Der absolut sehenswerte Gebäudekomplex kann übrigens auch im Original im Südosten der Stadt, in der Nähe der Universität besucht werden (Rued Langgaards Vej 10, 2300 København).

Ein weiteres Beispiel für gelungene Architektur ist der Neubau der SEB Bank Hauptverwaltung, ebenfalls von Lundggaard & Tranberg, in der Bernstorffsgade 50, 1577 København V gelegen. Auf den ersten Blick recht unscheinbar und gar nicht so besonders, eröffnet erst die intensive Beschäftigung die wirklichen Besonderheiten. Das Türkisgrün des Glases und das Rotrostbraun der Stockwerkbegrenzungen dominieren den visuellen Eindruck. Die Vordächer, Rampen und Aufgänge der beiden Glasgebäude nehmen dieses Thema gestalterisch auf und können unterschiedlich genutzt werden. Viel Geschwungenes, und an Nierentische erinnernde Formen fallen evident auf.

Gerade der Außenraum entworfen vom Landschaftsarchitekturbüro SLA – mit Büros in Kopenhagen und Oslo – ist als eine „Stadtdüne“ gestaltet, bestehend aus hellen Betonplatten-Wegen und kleinen terrassenartigen Flächen, die durch kleine bis winzig runde Grünoasen durchzogen sind. Mittlerweile sind diese ein Skater-Paradies.
Ein Zeitrafferfilm zeigt den Besuchern der Ausstellung in 30 Minuten Tages- und Nachtzeit an längsten Tag des Jahres.

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Der Kreis schließt sich mit dem dritten Architekturprojekt von Lundgaard & Tranberg mit dem gegenüberliegenden Schauspielhaus. Sinnvollerweise hat der Ausstellungsmacher auf ein Modell und Fotografien verzichtet, stattdessen ist an einem Fenster ein mannshoher Spiegel so angebracht, dass man aus dem Innenraum den imposanten Bau solitär sehen kann. Ein wunderbarer und intelligenter Einfall.

Im oberen Stockwerk ist eine weitere spannende Ausstellung zu sehen. Das japanische Atelier Bow-Wow, mit Sitz in Tokio, stellt sich mit Modellen, Zeichnungen, Fotografien und Texttafeln vor. Raum ist in Japan nicht nur teuer, sondern auch rar in den Megacities und so beschäftigt sich eine Vielzahl der Projekte mit Bauen auf engstem, verschachteltem Raum. Die Qualität muss dabei keineswegs leiden, Beweise dafür gibt es in der Ausstellung genug, unter anderem aus Machiya. „Pet Architecture“ ist jenes Schlagwort, das das Atelier international bekannt machte. Der oberflächliche Begriff wird der Leistung allerdings nicht einmal annähernd gerecht. Das, was japanisches Design, Formgestaltung und Architektur ausmacht findet sich zu Hauf: Purismus, klare einfache Formen, jedweder Verzicht auf Schnörkel und eine funktional-ästhetische Präzision und zeitgleich durchaus zudem eine intime Atmosphäre. Auch die jeweilige Materialwahl der Bauten sowie der Einrichtung schaffen den Spagat zwischen Tradition und Zeitgenössischem.

Obwohl die Japaner so ganz anders denken, planen und bauen gilt auch hier das Statement aus dem unteren Stockwerk von Lene Tranberg: „Everything is relationship. Architecture always stands relative to something else“.

„The Heart of the Stone“

Die Ausstellung ist noch bis zum 21 September 2014, die Ausstellung Atelier Bow-Wow bis 29. August im Dänischen Architekturzentrum (DAC) zu sehen, Strandgade 27B DK in 1401 København K.

Weitere Informationen

www.dac.dk
Lundgaard & Tranberg Architects
SEB Fotostrecke
SLA Landscahftsarchitektur
Atelier Bow-Wow


Abbildungsnachweis:
Header: Schauspielhaus von Lundgaard & Tranberg Arkitekter. Foto: Adam Mørk.
Galerie:
01. Palmenhaus im Botanischen Garten von Peter Christian Bønnecke. Foto: Claus Friede
02. Blick auf das Palmenhaus im Botanischen Garten von Peter Christian Bønnecke. Foto: Claus Friede
03. Schauspielhaus von Lundgaard & Tranberg Arkitekter. Foto: Jens Lindhe.
04. Königlich Dänische Bibliothek von Schmidt, Hammer & Lassen. Foto: Wiki Commons
05. Blick aus der Königlich Dänischen Bibliothek von Schmidt, Hammer & Lassen. Foto: Wiki Commons
06. Der alte Speicher, in dem das Dänische Architekturzentrum (DAC) untergebracht ist. Foto: Claus Friede
07. Eingang in das Dänische Architekturzentrum untergebracht ist. Foto: Claus Friede
08. und 09. Tietgenkollegiet von Lundgaard & Tranberg Arkitekter. Foto: Jens Lindhe.
10. Modell des Tietgenkollegiet von Lundgaard & Tranberg Arkitekter im DAC. Foto: Kristian Ridder-Nielsen.
11. und 12. Modell des Tietgenkollegiet von Lundgaard & Tranberg Arkitekter im DAC. Fotos: Claus Friede
13. Filmstill. Die SEB 24 Stunden im Zeitraffer. Foto: Claus Friede
14. Zitat von Lene Tranberg. Statement in der Ausstellung „The Heart oft he Stone“. Foto: Claus Friede
15. bis 20. Blicke in die Ausstellung des japanischen Architekturbüros Bow-Wow. © Bow-Wow. Fotos: DAC.

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