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Film

 

 

Die GlücklichenHans Schiller (Stephan Schad), verlassen von Freundin und beruflichem Geschick als Schriftsteller, hat mit Mitte 40 beschlossen, endlich Erfolg zu haben. Und das soll nun gefeiert werden, nicht in der Urbanität der Großstadt, nein, auf dem Land: einsam gelegenes Haus mit Seegrundstück, eigenem Bootssteg und Ruderboot. Doch das Fest mit guten alten Freunden aus der Studienzeit, Helene und Tom (Meret Becker und Oliver Sauer), entwickelt eine merkwürdige Eigendynamik. Jeder der drei Freunde hat seinen neuen Partner dabei, man kennt sich seit ein paar Tagen oder maximal ein paar Wochen: Hans neueste Eroberung Angela (Pheline Roggan), Helenes Wochenabschnittsgefährte Werner (Ole Schlosshauer) und Toms Bekanntschaft Charlotte (Susanne Wolff) helfen mit, die vermeintlich glückliche Versammlung auseinanderbrechen zu lassen und neue Allianzen zu bilden. Eifersucht, Liebesgeständnisse, verpasste Chancen, Stimmungswechsel, Absurditäten sind die gelungenen Zutaten. Ein überraschendes Ende löst die Gesellschaft auf.

Sehenswert ist übrigens auch der Trailer, den man noch besser versteht, wenn man den Film bereits gesehen hat... (https://www.diegluecklichen-film.de/trailer.html)

Die GlücklichenKinohighlights sind Kostbarkeiten, die man am liebsten behutsam aufbewahren möchte und gerne auch wiederholt anschaut. Der neue Film von Regisseur und Schauspieler Jan Georg Schütte gehört genau in diese Kategorie. Ihm, den Schauspielern, dem Cutter und Team ist es gelungen, einen künstlerischen Film zu präsentieren, der für mich auch schon im Januar zu einem Filmhighlight des Jahres 2009 zählt. Sicherlich zuckt der eine oder andere gleich bei der Begriffskombination „künstlerischer Film“ zusammen, ist doch die blockbuster- und box-office-hit-gewöhnte Kinogemeinde eher an Mainstream interessiert. Aber es gibt eben auch die kostbaren Ausnahmen: „Die Glücklichen“ ist künstlerisch und hat gleichzeitig Bodenhaftung, keine abgehobene Avantgarde. Im Gegenteil, der Film bleibt an jeder Stelle nachvollziehbar, er stellt seine Protagonisten so vor, dass man meint, alle durch die Bank zu kennen, oder zumindest ist man genau solchen Menschen schon einmal begegnet. Künstlerisch also im besten Sinne des Wortes.

 

Bewerkenswert sind aber weder die Story, noch die Charaktere allein. Diese werden hervorragend von Menschen gespielt, deren Theaterbühnenerfahrung spürbar, aber unaufdringlich bleibt. Die meisten Schauspieler und der Regisseur kennen sich von langjähriger Bühnenarbeit im Thalia Theater Hamburg. Herausragend und gleichzeitig markant ist der Film vor allem deshalb, und hier wird ein Bezug zu Schüttes ersten Film „Swinger Club“ aus dem Jahr 2006 sichtbar, weil der Regisseur sich und den Schauspielern wieder Freiräume zugesteht. Story und Dialoge sind nicht bis zum Betonungszeichen vorgezeichnet, nein, die Schauspieler entwickeln die ihnen zugedachten Charaktere über rudimentäre und fragmentarische biographische Daten selbst. Und genau diese Methode eröffnet neue Räume: Denkräume, Erinnerungsräume und Bewegungsräume. Einem Tango gleich öffnen und versperren die Schauspieler diese Räume, die Zugänge zu sich selbst, zu ihren Beziehungen, Erinnerungen und Erfahrungen und zu den erlebten Realitäten. Die Schauspieler okkupieren diese Räume jedoch nicht horizontal, wie dies ein Stadtplaner, Eroberer oder ein Feldherr tun würde, sie gehen aufrecht, also vertikal durch die Schichtungen der Geschichte und Geschichten. Sie belassen die Schichten, tragen diese nicht seziererisch ab. In jenem Moment, in dem man sich dieser Situation gewahr wird, stellt man fest, dass Schauspieler und Publikum auf Augenhöhe sind; sich Erinnerungsräume auch für das Publikum auftun, denn auch wir „gehen aufrecht“ durch den Film. Mehr als bei den meisten anderen Filmen können wir zu jeder Zeit aus unserem Rucksack, den wir immer und überall bei uns tragen, unsere eigenen Erinnerungen und Erlebnisse hervorziehen, die Räume selbst füllen und dem Ort am See dadurch ein Gedächtnis geben. Das unauffällige Improvisieren der Darsteller unterstützt diese Vorgänge kapillarartig und so identifiziert und erdet sich der Zuschauer, oszilliert zwischen Distanz und Nähe oder genießt die Situationskomik. Texte, die gesprochen werden, wenn sie selbst in der jeweiligen Rolle gedacht sind, sind eben andere als die, die von einer dritten Person zunächst verschriftlicht wurden, um dann wieder zur Sprache und zum Spiel zurückzukehren. Und noch etwas wird dadurch bewirkt: Der Film wird zeitlos, natürlich und allgemeingültig.

 

Die GlücklichenSo wie der avantgardistische Komponist Bernd Alois Zimmermann die Zeit als Kugel definiert, so wirkt auch der Begriff der Zeit im Plot dieses Films rotierend, relativierend, ohne Anfang und Ende. Die Gegenwart wird durch ihre ständige Fortbewegung zur kleinsten möglichen Zeiteinheit. Der Augenblick gleitet permanent zurück in die Vergangenheit und schiebt sich nie solitär aus der Welt heraus. Es bleibt kein einzelnes Bild haften, sondern lediglich emotionale Verbindungen, Auflösungen, Sequenzen.
Die zeitliche Komponente wird auch durch die Tatsache thematisiert, dass sechs Kameras am Drehort filmten. In 42 Stunden, 80 Stunden Material einer 80 Minuten-Story zu produzieren zeigt, dass jemand über die Vielfältigkeit subjektiver Wahrnehmungen nachgedacht hat. Wie in der kubistischen Malerei haben Regisseur und Schnitt (Ulf Albert) die Sichtperspektiven aufgeklappt: Die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse werden evident. Szenen wurden nicht mit Schuss und Gegenschuss hintereinander gedreht und dann die Versatzstücke collagiert, vielmehr sind eine ganze Reihe Szenen zeitgleich gedreht worden, im Moment ihrer unikalen Situation. Die einzelne Kamera nimmt zwar nicht durchweg, aber immer wieder im selben Augenblick synchron mit einer anderen die identisch gleiche Szene auf, aber aus anderen Blickwinkeln. Man ahnt, dass die Symmetrie selbst dann noch funktioniert, wenn die Kameras auch zeitgleich andere Personen, als die hauptinitiativ Agierende(n) fokussieren. Realzeit und Erlebniszeit gehen dadurch eine eigentümliche Verbindung ein. Eine sehr komplexe Vorgehensweise und eine meisterliche Schnittleistung! Durch den filmischen Ablauf werden sie dann natürlich hintereinander gesetzt, doch wäre durchaus zukünftig zu überlegen, ob durch eine Teilung der Leinwand in zwei oder sogar mehrere Bilder an einigen, sehr, sehr wenigen Stellen dieser Sachverhalt noch künstlerischer, diese Besonderheit noch verdeutlicht und verstärkt werden könnte.
Das überraschende, intelligente und groteske Ende des Films entlarvt ganz wie durch einen Theatercoup das vermeintliche Sein als Schein und entschärft alle Konflikte.
Im Zusammenspiel der vernetzten Charaktere, subtilen Aufnahmetechniken, feinfühligen Regieführung und schauspielerischen Leistungen ist in „Die Glücklichen“ etwas entstanden, das weiterzuentwickeln sich lohnt!

Weitere Vorstellungen von „Die Glücklichen" in Hamburg:

02.11. und 08.12. im Abaton Kino, 20.00 Uhr mit Gästen
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