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Das Forschungsprojekt

Das Jubiläum der Wiedereröffnung des Nationaltheaters nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war für die Bayerische Staatsoper Anlass, sich erstmals ausführlich mit der Geschichte des Hauses im Zeitraum 1933 bis 1963 zu beschäftigen. Wissenschaftliche Publikationen über diesen Zeitraum mit diesem Forschungsschwerpunkt gibt es bis dato keine. Staatsintendant Nikolaus Bachler hat daher ein Forschungsteam der Theaterwissenschaft München an der Ludwig-Maximilians-Universität beauftragt, personelle und ästhetische Entwicklungen und Brüche insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg an der Bayerischen Staatsoper zu untersuchen.
 

Geleitet wurde das auf drei Jahre angelegte Projekt von Institutsleiter Prof. Dr. Christopher Balme und dem Theater- und Musikwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Schläder. Zum Forschungsteam gehören außerdem der wissenschaftliche Mitarbeiter der Theaterwissenschaft München, Dr. Rasmus Cromme, der Doktorand Dominik Frank sowie Katrin Frühinsfeld, wissenschaftliche Hilfskraft des Forschungsprojekts.

Die Schwerpunkte des Forschungsprojektes liegen einerseits in ästhetisch-interpretatorischer Hinsicht auf der Musiktheaterpolitik jener Jahre, andererseits auf dem architektonischen, institutionellen und personellen Wiederaufbau des Nationaltheaters. Als Quellen dienen sowohl historische Zeitungsberichte und aktuelle Zeitzeugengespräche als auch Briefwechsel, Werk- und Personalakten (z.B. Richard Strauss, Rudolf Hartmann oder Clemens Krauss), die in verschiedenen Archiven gesichtet wurden. Hierzu gehören das Bayerische Hauptstaatsarchiv München und dessen Außenstelle in Eichstätt, das Staats- und das Stadtarchiv München, das Deutsche Theatermuseum und das Archiv der Freunde des Nationaltheaters.
 

Die Vorträge im Detail
 

25. Januar 2016

Richard Strauss und Clemens Krauss im Nationalsozialismus: Inszenierung der „politischen Harmlosigkeit“
Dominik Frank, M.A.: Richard Strauss, Hausgott oder Ego-Shooter?
Dr. Rasmus Cromme: Mythos Krauss
Prof. Dr. Jürgen Schläder: Arabella und Ludwig Sievert: Inszenierungen 1945 und 1953
 

Die Verwicklungen um Richard Strauss in der NS-Zeit sind hinlänglich erforscht und publiziert. Nichtsdestoweniger hat in der breiten Öffentlichkeit keine kritische Reflexion des Strauss-Bildes stattgefunden, Strauss gilt weithin als der unpolitische Komponist, dem es vor allem um „überzeitliche Kunst“ ging. Der Vortrag „Hausgott oder Ego-Shooter“ von Dominik Frank fasst im ersten Teil den bisherigen Forschungsstand zusammen und geht dabei unter anderem auf Strauss‘ politisches Wirken als Präsident der Reichmusikkammer, sein Verhältnis zu Hitler und Goebbels sowie seinen Versuch ein, aus der Kollaboration mit dem Regime persönlichen Nutzen zu ziehen. Im zweiten und dritten Teil wird anhand neuer Ergebnisse und noch nicht publiziertem Material die Rolle der beiden Strauss-Uraufführungen an der Bayerischen Staatsoper beleuchtet. Es wird gezeigt, dass Strauss mit Friedenstag 1938 und Capriccio 1942 auf ganzer Linie die jeweils herrschende NS-Musiktheaterpolitik bediente. 1938 wird - propagandakonform und parallel zum sogenannten „Münchner Abkommen“ - ein heroisches Kriegsbild entworfen, welches die Deutschen als einerseits friedliebendes, andererseits jedoch auch kampfbereites Volk zeichnet. 1942 sollte die Kunst dagegen während des Krieges als Unterhaltung und Ablenkung dienen: Capriccio erfüllt mit seinem Diskurs über Vorrang von Text oder Musik in der Oper diese Rolle perfekt und war damit das ideale Vehikel für eine letzte große NS-Uraufführung mit versammelter Parteiprominenz.

Das Clemens-Krauss-Bild verdankt sich vor allem dem Einsatz der Biographen Signe von Scanzoni und Oskar von Pander: Die Ära Clemens Krauss wird als Zeit eines vollendeten Musiktheaters und großartiger Ensemblepolitik stilisiert, der politische Hintergrund wird dabei komplett ausgeblendet. Im Vortrag von Rasmus Cromme zum Wirken von Clemens Krauss wird umfangreiches, erstmals ausgewertetes Material aus Archiven in München, Wien und Berlin präsentiert. Es ergibt sich dabei eine massive Verschiebung der Bewertung des Wirkens von Krauss, der auf persönlichen Wunsch Hitlers aus Berlin nach München kam. Hitlers Plan war, München mit der Bayerischen Staatsoper zur Opernhauptstadt des Deutschen Reiches zu machen, ein von ihm selbst entworfenes neues „Großes Festspielhaus“ sollte diese Pläne krönen. Mit der Ausarbeitung einer „Opernreform“ wurde Clemens Krauss beauftragt. Die handschriftlichen Entwurfsstufen dieser Reform ebenso wie der amtliche Schriftverkehr zeigen, mit welchen Mitteln Krauss darauf hinarbeitete, das von Hitler gesteckte Ziel noch zu übertreffen und sich selbst als „Musikalischer Führer“ des Deutschen Reiches zu installieren.

 

22. Februar 2016

Wegbereiter, Lückenbüßer und alte Bekannte: die Bayerische Staatsoper in den Scharnierjahren nach 1945
Dr. Rasmus Cromme: Der „Übergangsintendant“ Georg Hartmann im Prinzregententheater
Dominik Frank, M.A.: Carl Orff und Werner Egk vor und nach 1945
Prof. Dr. Jürgen Schläder: Die Rolle Karl Amadeus Hartmanns als „Wegbereiter der Moderne“
 

Im zweiten Symposium werden Ergebnisse bezüglich der Zeit nach der sogenannten „Stunde Null“ präsentiert. Nach Ende des Weltkriegs versuchen Richard Strauss und Rudolf Hartmann vergeblich, die Fäden an der Staatsoper in der Hand zu behalten - beide werden jedoch wegen ihrer Entnazifizierungsverfahren bei der Neubestellung der Theaterleitung außer Acht gelassen. Stattdessen wird Georg Hartmann als Intendant berufen. Seine Intendanz, die vor allem im Verwalten von Mangel bestand, wird im Rahmen des Forschungsprojektes erstmals ausführlich beleuchtet. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der musikalischen Moderne an der Oper: Neben den einschlägig NS-belasteten Komponisten Carl Orff und Werner Egk - deren politische Parteinahme für das NS-Regime nochmals nachgezeichnet wird - beginnt nun auch das Wirken von Karl Amadeus Hartmann als Dramaturg und Komponist in München. Doch die Intendanz von Georg Hartmann blieb nur eine Übergangsperiode.

 

7. März 2016

„Wir sind wieder wer“: die Bayerische Staatsoper zwischen Restauration und Reform im jungen Freistaat
Dominik Frank, M.A.: „Saukram!“: Ästhetische Entwicklungen im Ballett und der Abraxas-Skandal
Prof. Dr. Jürgen Schläder: Egk, Tomasi & Co: Uraufführungen und Erstaufführungen
Dr. Rasmus Cromme: Kontinuitäten: Rudolf Hartmanns Karriere im Nationalsozialismus und der Bundesrepublik
Katrin Frühinsfeld: Wiederaufbau-Debatte der 1950er
 

Im Fokus des dritten Sympsiums steht der Intendant Rudolf Hartmann, der die personelle und ästhetische Kontinuität an der Staatsoper von der NS-Zeit bis zur Bundesrepublik wie kein anderer symbolisiert. Hartmann kam mit Clemens Krauss nach München. Der eng mit dem Münchner Gauleiter sowie Hermann Göring befreundete Hartmann agierte bezüglich seiner eigenen Karriere skrupellos: Seinen Konkurrenten um die Position des stellvertretenden Intendanten, den Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros Erik Maschat, ließ er durch seine NS-Beziehungen an die Front versetzen, und von Hartmanns Berufung zum „Operndirektor“ erfuhr Intendant und GMD Clemens Krauss nach Eigenaussagen aus der NS-Presse. Das Forschungsprojekt zeichnet erstmals die Karriere von Hartmann en detail nach und versucht dabei auch die Frage aufzuklären, wer im Hintergrund die Fäden zog, damit Hartmann nach seinem Entnazifizierungsverfahren trotz Protesten an die Staatsoper zurückkehren und als Intendant die feierliche Wiedereröffnung des Nationaltheaters begehen konnte.
 

Außerdem wird die Wiederaufbau-Debatte der 1950er Jahre anhand einer ausführlichen Diskursanalyse der veröffentlichten Meinung nachgezeichnet: Wie kam es dazu, dass sich die Freunde des Nationaltheaters mit ihrer Idee einer Rekonstruktion gegen die Befürworter eines modernen Neubaus durchsetzten? Davon ausgehend wird auch das schwierige Verhältnis Münchens zur ästhetischen Avantgarde nachgezeichnet: Ausgehend vom Skandal um das verbotene Ballett Abraxas wird anhand von historischen Fotos und Kritiken veranschaulicht, dass allein das Ballett in München der Moderne zuzurechnen war, die Inszenierungsästhetik an der Oper jedoch - im Gegensatz zu zeitgenössischen Versuchen etwa im Neubayreuth Wieland Wagners - beinahe bruchlos an die Inszenierungsstrategien der NS-Zeit anknüpfte.

 

30. Mai 2016

Antisemitismus, Verfolgung, "Deutsche Kunst": Ideologische Praxis vor und hinter den Kulissen der Bayerischen Staatsoper
Dominik Frank, M.A.: Wagner und der Nationalsozialismus
Dr. Rasmus Cromme/Katrin Frühinsfeld: Rassische Verfolgung an der Staatsoper: Beispiele Berthold Sterneck, Maria Reining, Walter Ries
Prof. Dr. Jürgen Schläder: Inszenierungsgeschichte der Opern Die Jüdin und Die Hugenotten
Prof. Dr. Jürgen Schläder: Die „deutsche Farbe“ im Spielplan vor und nach 1945
 

Das vierte Symposium durchbricht die Chronologie zugunsten eines Querschnittes, der sowohl die ästhetische als auch die ideologische Durchdringung der Institution Staatsoper über das Ende der NS-Zeit hinaus in den Blick nimmt. Unter anderem anhand der Biographien der Sänger Berthold Sterneck, Maria Reining und Walter Ries wird die Verfolgung und Ausschaltung jüdischer Ensemblemitglieder nach 1933 aufgezeigt. Lebenswege und Karrieren, die an der Staatsoper zu glänzenden Höhepunkten führten und verarmt im Exil oder im Konzentrationslager Auschwitz endeten.
 

Anhand einer Inszenierungsgeschichte der Opern Die Meistersinger von Nürnberg auf der einen, der Jüdin und der Hugenotten auf der anderen Seite, wird die Spielplanpolitik sowohl quantitativ als auch in ihrer ästhetischen Durchdringung der Inszenierungen mit Juden- und Germanenklischees verdeutlicht. Darüber hinaus wird die Wagner-Verherrlichung in den Programmheften der Staatsoper (etwa das Pamphlet Wagner und der Nationalsozialismus) erläutert.

Quelle: Bayerische Staatsoper

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