Reisen
Die 17. Museumsnacht in Basel

Die Museumsnacht Basel vom 20. auf den 21. Januar 2017 war winterlich eisig kalt. Die Minustemperatur hielt jedoch vor allem viele junge Kulturneugierige nicht davon ab, in den insgesamt 37 teilnehmenden Museen und Kulturinstitutionen, den gut 200 Programmpunkten zu folgen. Etwa 40% der Nachtschwärmer waren unter 25 Jahre alt.

Wie seit Jahren in Hamburg durchstreife ich die Museen der Nacht – nur diesmal in Basel. Der Münsterplatz, im Herzen der Altstadt, ist nicht nur zentraler Informationspunkt, sondern auch das Drehkreuz der acht Shuttle-Buslinien, die in dieser Nacht tausende von Besuchern quer durch die Stadt und in die Region bringen. Und die Stimmung ist von Anbeginn an großartig.

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Wer sich zunächst mit Musik einstimmen möchte ist gleich im Münster willkommen. Unter dem Titel „Bilder, Töne, Worte“ spielen wechselnde Kammer-Ensembles des Sinfonieorchesters Basel bis spät in die Nacht bei Kerzenschein. Wer möchte, kann sich jede volle Stunde zur Geschichte des Münsters führen lassen und am Epitaph von Erasmus von Rotterdam, dem Renaissance-Humanisten gedenken.

Draußen auf dem Kopfsteinpflasterplatz füllen sich die Busse, ich aber gehe zur ältesten öffentlichen Kunstsammlung der Welt, ins Kunstmuseum Basel, nur einen Steinwurf vom Münsterplatz entfernt. Das alte Museumsgebäude, neoklassizistisch zwischen 1931 bis 1936 von Paul Bonatz und Rudolf Christ gebaut, findet auf der gegenüberliegenden Straßenseite den im vergangenen Frühjahr eröffneten Erweiterungsbau des Basler Architekturbüros Christ & Gantenbein. Die Namensdopplung „Christ“ ist kein Zufall, es sind Großvater und Enkel, die das Kunstmuseum (weiter-)bauten.
Die Schlange der Interessierten zieht sich im Innenhof an Rodins Skulptur „Bürger von Calais“ bis zur Alexander Calder-Spinne „Big Spider“. „Oh, ist das kalt heute“, sagt eine junge Frau mit gefärbten Haaren, tritt von einem Bein aufs andere und lässt sich eine Zigarette anzünden. Sie kann sich kaum bis zur Hälfte rauchen, denn die Warteschlange bewegt sich stetig schnell zum Einlass, ins Warme. Eine große Anzahl von Besuchern geht gleich links durch den unterirdischen Verbindungstrakt in den neuen Teil des Museums, die anderen geradeaus die Treppe hoch zur Sammlung im Altbau.
Mich lockt der Neubau. Im Verbindungssaal, der sich genau unter der Dufourstraße befindet, sind Werke des kanadischen Künstlers Jeff Wall platziert. Seine großformatigen Foto-Leuchtkästen mit Inszenierungen des vermeintlich Alltäglichen wirken sehr überzeugend. Im vergangenen Sommer und Herbst war die künstlerische Situation dort noch nicht gelöst. Die Museumsnachtbesucher durchqueren den Raum nun wie vor Schaufenstern. Die Bildmotivik Walls schlägt den direkten Bezug zur Außenwelt. Anstatt durch einen undefinierten Verbindungstrakt eine Straße zu unterqueren, schafft nun eine nachvollziehbare und gut überlegte Präsentation eine dynamische Situation.

„Because the Night Belongs to Cinema” – im Erweiterungsbau angekommen geht es gleich in die Kinolounge zu Kurzfilmen des Schweizers Roman Signer. Lange verweilen die Besucher nicht, irgendetwas zieht sie weiter, entlang der riesigen Bilder von Stella, Rothko und einem ausladenden Wandobjekt von Donald Judd. Hier haben die amerikanischen Color Field-Maler, Abstrakten Expressionisten und einige Minimalisten eine Heimat gefunden. Eine Gruppe junger Nordamerikaner diskutiert heftig und gegensätzlich vor einem Sam Francis-Bild über die Amtseinführung des 45. Präsidenten der USA, die sie am frühen Abend im Fernsehen verfolgt haben, bis sie sich dann doch lieber wieder der Kultur widmen.
Im Obergeschoss kann man noch einen letzten Blick in die zu Ende gehende Sonderausstellung „Der figurative Pollock“ erhaschen. Auch er ist mit seinen Großformaten im Neubau gut aufgehoben. Aus dem ersten Stock tönt Jazz, die Lieblingsmusik von Jackson Pollock (1912-1954). Irgendwie passt die aber besser zu seinen „Action Paintings“ als zu den figurativen Bildern.

Wie üblich bei den langen Museumsnächten, egal wo, fehlt die Ruhe, Muße und Konzentration sich tiefgehend auf alle inhaltlichen Aspekte einzulassen. Das Gewusel gleicht einem Ameisenhaufen und das Verhalten ist darauf trainiert, möglichst viel zu sehen, also weiter...

Auch ich folge der Nacht und nehme den grünen Shuttel-Bus zur Fondation Beyerler nach Riehen. Die Stiftung im klar konstruierten, funktionalen Renzo Piano-Bau feiert in diesem Jahr ihren 20-jährigen Geburtstag. Das Geschenk an alle Besucher bis 25 Jahre ist der Gratiseintritt für das gesamte Jahr, alle anderen möge ein Kombiticket locken. Mit der Ausstellung „Monet“ (22. Januar bis 28. Mai 2017) präsentieren die Verantwortlichen als erste Ausstellung in Geburtstagsjahr Werke eines der beliebtesten Künstler. Noch ist diese während der Museumsnacht leider nicht eröffnet. Wann könnte ich wiederkommen, um die zu sehen, frage ich mich sogleich.
Einen Monet können die Besucher dennoch genießen – den aus der eigenen Sammlung. Ich widme mich also der noch laufenden Schau „Kandinsky, Marc & der Blaue Reiter“. Diese bemerkenswerte Ausstellung stellt die Künstlerfreundschaft zwischen Wassily Kandinsky zu Franz Marc in den Mittelpunkt, ohne dabei die anderen Mitglieder der Blauen Reiter zu missachten: Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky, Heinrich Campendonk und August Macke und die weiteren. Bemerkenswert ist die Ausstellung auch deshalb, weil viele Werke nur sehr selten international auf Reisen gehen dürfen und können und im Original zu sehen sind. Ein großformatiges Kandinsky-Werk zum Beispiel. „Komposition VII“ des Jahres 1913 aus der Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau hat es mir besonders angetan mit seinen frisch leuchtenden Farben und seiner fantastischen Dynamik. Es sind letztlich einzelne Bilder und Dialogsituationen, die mich bannen und ich bin glücklich, die Ausstellung am letzten Tag vor Abbau noch gesehen zu haben.

Auch in der Fondation Beyerler sind die Ausstellungsräume sehr gut besucht, aber das Durchschnittsalter der Besucher liegt etwas höher als in Basels Zentrum. Neben Deutsch hört man viel Französisch und Englisch.

Es ist bereits nach Mitternacht und zum Abschluss meines Parcours durch die Museumsnacht muss ich unbedingt noch auf den Rückweg zur Sammlung Friedhof Hörnli – ebenfalls in Riehen gelegen. Friedhofsmuseen gibt es nicht viele, und dieses wurde mir besonders empfohlen, denn es handelt sich um eine private Sammlung eines Friedhofsmitarbeiters, die in einem ehemaligen Krematorium Heimat gefunden hat. Das kann entweder spannend werden oder es ist ein undefinierbares Sammelsurium ...ja, von was eigentlich? Die Neugierde lässt mich den schön warmen Bus verlassen und zum spärlich beleuchteten Friedhofshauptportal gehen. Normalerweise ist der Friedhof Hörnli im Winter nur bis 17:30 Uhr geöffnet, lediglich heute sieht man die Eisengitterpforten weit geöffnet. Ich zeige dem fröstelnden und dick vermummten Museumsnachtmitarbeiter mein Zutrittsbändchen und gehe in Richtung flackernder Feuerkörbe. Die ersten 200 Meter Weg sind durch sie und beleuchtete Bildtafeln in Nischen spärlich erkennbar und gut zu bewältigen, doch dann wird es gruselig dunkel. Die Besucher bleiben dicht zusammen – besser ist besser. „Geht es jetzt da lang oder müssen wir hier abbiegen"?“, fragt eine ängstliche Stimme. Ich suche nach weiteren Feuerkörben als Anhaltspunkt. „Da geht es lang“ – just in dem Moment werden weitere Birkenholzscheite in einen etwas entfernten Feuerkorb geworfen. Die Glutfunken steigen zuckend gen klarem Sternenhimmel, wie kleine Glühwürmer verschwinden sie dann in der Nacht und Kälte. Nach zweimaligen Abbiegen empfängt uns – mittlerweile eine kleine Gruppe – umherflackernde grüne und rote Lichtpunkte. LED-Elektronik macht es möglich. Der alte Bau ist umrahmt von Lichtband-Engeln – nichts wie rein, in einem ehemaligen Krematorium muss es warm und beleuchtet sein. Es ist nicht nur warm es ist auch gut besucht. Peter Galler, Kurator, Sammler, Friedhofsangestellter und Seele seiner eigenen Sammlung führt gerade eine Gruppe durch die Räume. So schaue ich mich erst einmal alleine um.
Gleich im großen Eingangsraum empfängt den Besucher eine Leichenkutsche. Zwei ausgestopfte Pferde ziehen ein historisches Trauerfuhrwerk in der ein verzierter Sarg aufgebahrt ist. Auf dem Bock sitzt ein Leichenkutscher, eine Modepuppe, die eigentlich zu gut aussieht für den Job.
Zugegeben, ich muss mich an die Materie erst einmal gewöhnen und frage mich, ob ich jetzt vielleicht am Ende meiner nächtlichen Reise niedergeschlagen, traurig werde oder mit einem Kloß im Hals wieder gehen soll. Eine Runde mache ich in jedem Fall durch die Räume, beschließe ich. Vorbei an einer Sammlung von Spaten und Spitzhacken einem großen Vitrinenschrank, der übervoll mit Urnen verschiedener Epochen bestückt ist, Sägen, Aushubgerätschaften – ich kann gar nicht alles gleichzeitig aufnehmen.
Ich werde abgelenkt weil irgendjemand anpreisend etwas von „Hörnli und Ghackets“ und „Totenbeinli“ ruft. Ich gehe der Stimme nach und komme an einen großen Tisch, um den eine Reihe von Besuchern sitzen, essen und trinken. Marion und Karoline, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen, versorgen die Gäste mit Nudeln und Gehacktem sowie prickelndem Sekt und Bier. Zum Nachtisch bieten sie jenes Gebäck feil, das süß, mit vielen Haselnüssen gebacken wird und sich „Totenbeinli“ nennt. Ja, es sieht ein wenig nach Knochen aus, was da vor mir liegt. Ich gehe weiter in den nächsten Raum. In Vitrinen ist Trauerschmuck zu finden, Sargbeschläge aller Art, Grabkreuze, Engelsfiguren, Friedhofsordnungen der letzten sieben Jahrzehnte, selbst chirurgische Implantate, die nach der Kremation häufig in der Asche übrigbleiben, sind ausgestellt. Skurril, denke ich und komme zu einem an der Wand befestigten Würfelbrettspiel. „Reise in die Ewigkeit“ heißt es, stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert, hergestellt im katholischen Münster. Über „Tugendfelder“ und Gedanken der christlichen Heilslehre muss sich jeder Spieler würfeln, um den rechten Weg zu finden, damit jeder Einzelne auch wirklich an der Himmelspforte eingelassen wird.
Anstatt himmelwärts führt eine Treppe nach unten in ein Kellergewölbe. „Kommst Du mit nach unten?“, fragt eine Frau ihren Begleiter, der sich über eine Vitrine beugt und historische Luftaufnahmen des Friedhofs studiert, „ich traue mich nicht alleine.“ Er kommt mit und ich folge.
Kerzen und ein paar wenige Lämpchen werfen Licht auf unzählige Kutschen diverser Jahrhunderte, dazwischen liegen Särge. Ich bleibe vor einem „Pestsarg“ stehen, eine recht grobe Holzkiste, die – wie ich auf einem Schild lese – mehrfach verwendet wurde. Damals zur Zeit der Pest (im Mai 1349 kam sie nach Basel und raffte nach Schätzungen mehr als 10% der Bevölkerung dahin) kamen die Zimmerleute nicht mehr mit der Sargproduktion hinterher.

Nun hat Peter Galler Zeit und erzählt: Seit 50 Jahren sei er Friedhofsangestellter, er habe 40.000 Menschen hier beerdigt von insgesamt gut 190.000 die auf dem gesamten Friedhofsareal bestattet seien. Aus Platzgründen werden Gräber nicht länger als 20 Jahre vergeben, danach wird „entsorgt“ und wie wir nun wissen und sehen auch gesammelt. Angefangen hat es in einem alten Schuppen. Irgendwann kam das alte Ofenhaus an Stelle. „Die Leichenkutschen und Gerätschaften habe ich alle erworben, bin von Genf über Davos bis Lugano gefahren um die historischen Leichenkutschen nach Basel zu bringen“ – und „es steckt ein Einfamilienhaus in meiner Sammlung“, sagt er mit verschmitztem Gesicht. „Ob er denn noch an etwas anderes denken könne als an Leichen“, fragt eine Besucherin. „Ja, um 17 Uhr schalte ich ab“, sagt Galler und macht eine Handbewegung an seiner Stirn als ob er einen Schalter umlegt. Jetzt schaltet er aber nicht ab, im Gegenteil, er dreht auf, erzählt von einzelnen Fundstücken, hat eine Reihe Anekdoten auf Lager, redet über die Architekten und die Entstehung des Friedhofs: „Der Friedhof Hörnli ist der Zentralfriedhof der Stadt Basel. Er wurde zwischen 1926 und 1932 nach Plänen des Architektenteams Bräuninger, Burckhardt, Klingelfuss, Leu und Suter erbaut und am 1. Juli 1932 eingeweiht.“
„Sehen Sie die vielen fliegenden roten und grünen Lichtpunkte da draußen“, fragt er sein Publikum am Ende seiner Ausführungen: „das sind die Seelen von Verstorbenen.“ Der Mann kann Geschichten erzählen und Stimmungen kreiieren...

Mich zieht es zurück zu Marion und Karoline, die noch immer eine Ladung „Totenbeinli“ vor sich liegen haben. Ich kaufe Wegzehrung und nasche. „Guuut“, sage ich und schaue in lächelnde Gesichter. Dann frage ich nach dem Bus, der mich in die Stadt bringen soll. „Oh, der letzte fuhr um zwei Uhr, jetzt ist es drei...“ Auf den Schreck und die Aussicht nun in die Stadt laufen zu müssen esse ich sofort noch ein „Totenbeinli“.
Die Besucher sind fort, die freundlichen Mitarbeiter packen ein und Peter Galler bietet mir an, mich zu einem Stadttor an den Innenstadtrand zu fahren. Danke!

Museumsnacht Basel, bis zum nächsten Mal – Uf Wiederluege.

Die 18. Museumsnacht Basel findet am Freitag, den 19. Januar 2018, statt.

Weitere Informationen: www.museumsnacht.ch
Weitere Informationen zum Kanton Basel-Stadt: www.bs.ch

KulturPort.De dankt dem Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt, Standortmarketing und Basel Tourismus für die Einladung.


Abbildungsnachweis:
Header: Museumsnacht-Motiv. © accent graphe und Eleni Kougiounis
Galerie:
01. Außenfassade des Erweiterungsbaus des Kunstmuseums Basel. Foto: accent Graphe
02. Große Treppe im Altbau des Kunstmuseums Basel mit Besuchern der Museumsnacht 2017. Foto: Claus Friede
03. Junge Besucherinnen im Schweizerischen Architekturmuseum. Foto: Flavia Schaub
04. Fondation Beyeler. © Foto: Mark Niedermann
05. Blick in die Sammlungspräsentation der Fondation Beyeler, 2014. Claude Monet, Le bassin aux nymphéas, um 1917-1920, Auguste Rodin, Iris, messagère des dieux (Figure volante), 1890/91, Claude Monet, Le pont japonais, um 1918–1924. Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler. Foto: Mark Niedermann
06. Historisches Luftbild der Friedhofsanlage Hörnli, 1936. Sammlung Friedhof Hörnli
07. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
08. Sargbeschläge. Foto: Claus Friede
09. Urnensammlung in Vitrinen. Foto: Claus Friede
10. Spielbrett „Reise in die Ewigkeit“. Foto: Claus Friede
11. Historische Leichenkutsche mit Fotografie einer verstorbenen Familie. Foto: Claus Friede
12. Arbeitsgeräte-Sammlung für das Bestattungswesen. Foto: Claus Friede