Meinung
Eröffnungskonzert Elbphilharmonie F-Michael-Zapf

Was für ein netter, was für ein sympathischer Satz! Bemerkenswert, dass Joachim Gauck schon den Kosenamen für Hamburgs gläserne Baukunstwerk der Superlative kannte, das den Hanseaten in den vergangenen zehn Jahren vor Problemen die Haare zu Berge stehen ließ und das die Stadt nun mit einem Schlag an die Weltspitze der Musikmetropolen katapultiert.

Und wie gut, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der sich souverän über das Protokoll hinwegsetzen und sein Herz sprechen lassen kann. Als Joachim Gauck so spontan und unmittelbar auf das Schlusswort „Freude“ von Olaf Scholz reagierte, bevor er „aber nun mal richtig“ mit der protokollarisch korrekten Begrüßung der anwesenden Staatsgäste fortfuhr, begann ich mich vor dem Fernseher auf die zweite Eröffnung am nächsten Tag einzustimmen. Musikalisch natürlich, was sonst?! Und ganz privat auch schon mal kleidungstechnisch. „Ziehen Sie sich bloß warm an. In den Containern zieht es höllisch“, mahnte am nächsten Morgen eine Nachbarin, die in den Genuss der ersten Eröffnung gekommen war. „Und nehmen Sie Schuhe, in denen Sie gut laufen können“.

Okay, damit waren die neuen Stilettos schon mal gestorben. Dass die Gäste ausreichend Anreisezeit mitbringen mögen und, wenn möglich, öffentliche Verkehrsmittel nutzen sollten, da der Platz der Deutschen Einheit weiträumig abgesperrt war, stand ja auch groß in der Einladung. Ich plante also mehr Zeit ein als bei meiner Hochzeit und vor dem inneren Auge spielten sich bereits chaotische Szenen ab: Hunderte Damen in eleganten Abendroben und High Heels, bibbernd vor Kälte, die sich vor den Sicherheitschecks der Elbphilharmonie langsam in ihre Einzelteile auflösen. Bis die Kontrollen passiert und die Garderoben in der 11. Etage erreicht sind, haben sich Frisuren und Makeup längst verabschiedet, so meine Vorstellung. Mit dickem Pelz, Schirm und Wanderschuhen (die High Heels sicherheitshalber im Beutel dabei) ging es um 17:30 Uhr in den Bus – ich war auf das Schlimmste vorbereitet.

Doch erfreulicherweise war es gar nicht so schlimm. Der Container-Tunnel, den ein umsichtiges Management auf der Brücke Am Kaiserkai platziert hatte, war beheizt und sorgte dafür, dass die Gäste die paar Meter vom Sandtorkai bis zur Elbphilharmonie trockenen Fußes gelangen konnten. Die Sicherheitskontrollen, ähnlich und aufwändig wie auf dem Flughafen, rasch überwunden – ja, und dann war man auch schon auf der längsten gekrümmten Rolltreppe der Welt, die einen auf die Plaza und weiter zu den Konzertsälen beförderte.

Dort allerdings warteten die ersten Hindernisse: Treppen, Treppen, Treppen. Wer von der Garderobe die Ränge zu Fuß erreichen will, muss eine gute Kondition haben. Aufzüge gibt es natürlich, aber relativ versteckt, immerhin so gut, dass auch zwei hilfsbereite Aufsichten nicht sagen konnten, wo sie sich befinden. Und dann kommt der Moment, in dem sich alle Damen der Welt in allen Theater- Opern- und Konzertsälen der Welt die gleiche Frage stellen: „Wo sind…. Nein, nicht die Eingänge in den Saal. Die Frage lautet: „Wo sind die Toiletten?“. Denn dahin zieht es sie unwillkürlich als erstes und entsprechend entsetzt war die allgemeine Reaktion ein paar Minuten später, als sich zwölf Damen im elften Stock in einem Miniraum mit gerade mal zwei Kabinen wiederfanden. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, schimpfte es von allen Seiten. „Ein Bau der Superlative und nicht mal ausreichend Klos.“

„Vielleicht sollte man ein Schild anbringen: Pinkeln Sie vorher“, spottete eine nicht ganz unbekannte Dame.
Nun, ich darf Sie beruhigen, das wird nicht nötig sein: Es gibt durchaus größere Waschräume mit jeweils sechs Kabinen, wie sich im Laufe des Abends herausstellte – man muss nur wissen wo.

Und dann war es endlich soweit: Der erste Blick in den international so bejubelten Konzertsaal von Yasuhisa Toyota. Einfach hinreißend. Ein Raum, der unmittelbar Geborgenheit vermittelt, trotz seiner Größe und Höhe von 25 Metern. Das liegt einmal an seiner organischen Struktur, der weich-geschwungenen „Weinberg-Architektur“ der Ränge und der mittig platzierten Bühne. Aber auch an der einzigartigen wunderschönen „Weißen Haut“, den rund 10. 000 unterschiedlich gefrästen Gipsfaserplatten, deren Struktur an eine Höhle oder Muschel von Innen denken lässt. Oder an eine ins astronomisch vergrößerte Zellstruktur.

Natürlich sind Angela Merkel und Joachim Gauck am zweiten Eröffnungskonzerttag nicht noch einmal da, aber Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und der Intendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, halten ein zweites Mal ihre Reden und im Vergleich zum Vortag sind sie deutlich lockerer geworden. Sie haben sich ganz offenbar „eingegroovt“. Den Eindruck vermittelte auch Thomas Hengelbrock, der Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Im Vergleich zum Vortag schien er geradezu entspannt durch seine raffiniert komponierte Zeitreise durch vier Jahrhunderte Musikgeschichte zu führen: Benjamin Britten, Bernd Alois Zimmermann, Rolf Liebermann, Olivier Messiaen – keine Komponisten für Ohrwürmer, vielmehr für anspruchsvolle Musikliebhaber, die zeigen, was Toyotas Raum für eine Klangfülle zu bieten hat. Und die – das merkt auch der interessierte Laie schnell, stößt in eine Region vor, in der es kein Verzeihen mehr gibt: Jeder Huster, jedes Rascheln kommt mit der gleichen Schärfe und Klarheit im Gehörgang an, wie die Piccoloflöte und Triangel. Die heikle Akustik war den 2100 Ehrengästen des zweiten Eröffnungsabend offenbar auch bewusst – jedenfalls schienen sie den Atem anzuhalten, als Countertenor Philippe Jaroussky seine engelsgleiche Stimme „Aus den höchsten Sphären“ (Dalle Piu Alte Sfere) von Emilio de Cavalieri/Antonio Archilei erhob. Und die dynamisch-lauten Passagen von Zimmermanns „Prélude für großes Orchester“ und (nach der Pause) Wolfgang Rihms eigens für dieses Haus komponiertes „Triptychon und Spruch in Memoriam Hans Henny Jahnn“ für die unausweichlichen Huster zu nutzen. Bitte erwarten Sie keine Musikkritik an dieser Stelle, das überlasse ich lieber den Experten. Ich gebe hier nur den unmaßgeblichen Eindruck einer durchschnittlich interessierten Musikliebhaberin wieder. Und als solche fand ich Hengelbrocks Idee, die unterschiedlichen Musikstücke von der Renaissance bis in die Gegenwart ohne Pause hintereinander weg zu spielen, einfach genial. Man hört auf einmal Verbindungen, die einem sonst vermutlich nicht aufgefallen wären. Musikalische Linien, beispielsweise von Rihms klanggewaltiger Reminiszenz an den sperrigen Hamburger Schriftsteller und Orgelbauer Jahnn, (dem Pavol Bresliks schlanker Tenor Stimme verlieh) zum 4. Satz von Beethovens Neunter. Ungewöhnlich temporeich interpretiert übrigens, für meinen Geschmack zu schnell. Mit der geballten Sangespower von NDR- und BR-Chor geriet Beethovens Freudentaumel jedoch zum mitreißenden Finale. Ausgezeichnet die Solisten Wiebke Lehmkuhl und Bryan Terfel, überragend die superkurzfristig eingesprungene Hannah-Elisabeth Müller, deren strahlend klarer Sopran einem wirklich Freudentränen in die Augen treiben konnten.

Auf dem Rückweg regnete es und der Bus ließ auf sich warten. Aber das störte mich nicht. Nach so einem Abend kann man sich auch mal ein Taxi nehmen.

Ihre
Isabelle Hofmann


Abbildungsnachweis:
Header: Eröffnungskonzert. Foto: Michael Zapf

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