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Nikolai Tokarevs - Hommage an den großen Horowitz

Der junge russische Pianist Nikolai Tokarev kann mit seinen 31 Jahren schon auf eine fulminante Karriere zurückblicken: früher Konzert-Ruhm, Preise in gewichtigen Wettbewerben. Und allerfeinste Kritiken, die immer wieder seinen packenden Zugriff aufs Repertoire, seinen jugendlichen Elan, seine enorme und sein energiegeladenes Spiel, seine energische Attacke hervorheben.
Natürlich hat so einer keine kleinen Vorbilder, trotzdem zeugt es von Mut, ein Album „Homage to Horowitz“ zu nennen – das legt die Messlatte sehr hoch. Doch Aufnahmen des legendären Klavier-Superstars des vergangenen Jahrhunderts habe Tokarev immer wieder bei seinen Eltern gehört, er sei quasi mit ihnen aufgewachsen.

Also spielt er Etliches, was Horowitz auch gern spielte. Angefangen bei Scarlatti, der nach virtuoser Präzision und spielerischer Leichtigkeit verlangt. Horowitz entlockte dem Konzertflügel da immer wunderbar hingetupfte Notenperlenketten. Das schafft Tokarev ebenfalls, vielleicht nicht in jener letzten fast immateriellen Konsequenz. Aber sein Scarlatti wartet mit langen perlenden Läufen auf und frappierenden Repetitionen, und hier ist Tokarev fast schon am nächsten an seinem Vorbild dran. Denn über Horowitz und eine Vorliebe zu Cimarosa ist so gut wie nichts bekannt, Cimarosas Sonaten knüpfen aber nahtlos an Scarlattis pianistische Klippen an.

Cover TokarevDann Liszts „Fantasie über zwei Themen aus Mozarts ‚Hochzeit des Figaro’“ – ein Vorzeige-Stück der Hochleistungspianistik. Technisch brillant gespielt von Tokarev, er kann neben manchen Klangkaskaden auch das „Voi, che sapete“ hübsch verträumt schweben lassen, aber die Schaudramatik des Virtuosen braucht mehr als Technik: Leidenschaft, spürbar eigene interpretatorische Gedanken. Und gerade da könnte der Verweis auf Horowitz, der auf jedem Plattencover verkaufsfördernd wirkt, prekär werden: Als hieße der Titel „Respekt vor Horowitz“, bleibt dieses viertelstündige Werk eher brav gespielt, fast schon zurückgenommen. Der Funke, den Horowitz aus solchen Werken schlagen konnte, zündet nicht wirklich, die Portion Magie, die er hineinlegte, ist bei Tokarev nicht zu spüren.
Dann Horowitz Meisterdisziplin: Chopin. Drei Mazurken. Von Horowitz’ müheloser Eleganz, die Konkurrent Rubinstein an ihm bewunderte, von den feinst schattierten Klangfarbenzaubereien, die Besucher in Horowitz’ vor allem späten Konzerten so unvergleichlich berührte, ist bei Tokarev wenig zu hören. Er gönnt sich Rubati und bürstet hier und da gegen den Strich. Das ist gut hörbar, Tokarev hat schon ein Händchen für die Verwerfungen in Chopins Musik, für die kurzen Blicke in Abgründe. Die Kunst von Chopin und Horowitz, hörbar zu machen, dass das Feine und das Böse unterschiedliche Facetten derselben Seele sind, hat er noch nicht, die lässig-elegante, in Jahrzehnten gewachsene Routine seines Vorbilds auch nicht. Wie auch? Vielleicht hätte da ein Stück wie die von Horowitz heiß geliebte g-Moll-Ballade mehr aus ihm herausgelockt.

Als Chopin-Epigone kommt Alexander Skriabin in den beiden spätromantischen Etüden daher, die für dieses Album ausgewählt wurden. Schon bei der dis-Moll-Etüde, vollends aber erst bei der Liszt-Fantasie des 1956 geborenen Zeitgenossen Alexander Rosenblatt macht sich Tokarev frei von der Hommage-Fessel und findet zur eigenen Diktion, lässt seine überlegene Virtuosität von der Leine und lässt gerade dadurch etwas von dem aufblitzen, was Horowitz’ Spiel so aufregend und besonders machte. Da ist Feuer drin, viel Spielerisches, nervöse Spannung, Irrwitz und Genialität. Und sogar eine Spur von dem Pathos, die Horowitz immer zur Schau stellte, ohne die er auf dem Podium nicht zu haben war.
Vernunft, Herz und Technik, hat Horowitz verlangt, müssen sich beim Klavierspielen die Hand reichen. Vernunft und Technik hat sicher Tokarev genug, das Herz kann auf dieser CD erst bei der Liszt-Fantasie zu den beiden aufschließen.


Nikolai Tokarev: Homage to Horowitz.
Sony Classical #8888 3798 132

Hörbeispiele (jeweils 30 Sekunden):
- Scarlatti, Sonate in B-Dur
- Chopin, Mazurka in a-Moll
- Rosenblatt, Liszt-Fantasie

Fotonachweis: © Sony Classical