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Jeroen Berwaerts & Salaputia Brass - Foto Steven Haberland

Exakt zehn Jahre ist es her, da formierten sich Musiker des Bundesjugendorchesters zu einem Brass-Ensemble. Mittlerweile arbeiten die elf Blechbläser mit einem Perkussionisten in sehr unterschiedlichen Orchestern. Einige halten Solo-Positionen im Gewandhausorchester Leipzig, Gürzenich-Orchester Köln, Konzerthausorchester Berlin, Hessisches Staatsorchester Wiesbaden, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg und bei den Augsburger Philharmonikern.

Auf dem neuen Album „Signals from Heaven“ ist das Ensemble verstärkt durch den belgischen Trompeter Jeroen Berwaerts (*1975). Er ist zumindest den Norddeutschen bekannt durch sein vierjähriges Engagement als Erster Trompeter beim NDR Sinfonieorchester und durch seine Professur an der Hochschule für Musik in Hannover.

Eine Brücke durch die Jahrhunderte
Jeroen Berwaerts & Salaputia Brass: Signals from Heaven COVER„Signals from Heaven“ ist kein Blechbläser-Experiment, keines dieser „Cross-Over-Projekte“, die allzu oft mehr Enttäuschung auslösen als Begeisterung – vielmehr ist die Choreographie ein komplexer Brückenbau, eine dialogische Situation mit Musik des 16. bis 20. Jahrhunderts. Dabei ist die Entscheidung, „Stiltreue“ zu gewährleisten, eine äußerst sinnhafte. Hier geht es nicht, wie zurzeit so extrem in Mode, um „re-composing“, „re-interpretation“ oder „re-writing“, sondern schlichtweg um Gegenüberstellung spiritueller Welten. Wie korrespondiert Claudio Monteverdis (1567-1643) Toccata mit Gershwins (1898-1937) „Summertime“? Wo liegen mögliche Verbindungslinien von Giovanni Gabrielis (1557-1612) Mehrchörigkeit „Sacrae Symphoniae“ (1597) zum Gospel „Swing Low”? Und welcher Raum definiert sich zwischen Tōru Takemitsus (1930-1996) CD-namensgebenden „Signals from Heaven“ (1987) zu Duke Ellingtons (1899-1974) „Come Sunday“ aus „Sacred Concerto No. 1“ (1943/1965)?
Sie alle verbindet spirituelle, religiöse und geistige Kraft und der Blick nach oben, gen Himmel. Das irdische (menschliche, naturhafte) und das himmlische (göttliche) äußern sich in Titeln und Musikalität, oszillierend zwischen dem Materiellen und Immateriellen, zwischen Jahres- und Tageszeiten, still dahinfließenden Klangflüssen, der Überwindung des irdischen Leids und der damit verbundenen Sehnsucht nach dem himmlischen Paradies. Vorstellungskraft und symbolische Orte kommen im Geiste hinzu.

Giovanni Gabrieli spielt bei den Himmelssignalen eine entscheidende und zentrale Rolle! Er ist es, der sofort mit Blechbläser-Kompositionen in Verbindung gebracht wird. Der Schüler des belgischen Renaissance-Komponisten und Intellektuellen Orlande de Lassus aka Orlando di Lasso (1532-1594) zog seinetwegen nach München, um bei ihm studieren zu können. Und er ist es, der für die Kausalkette des Albumprogramms sorgt – wie ein roter Faden. Seine Art der Doppelchorkomposition zieht sich bei fast allen Stücken durch. Insbesondere taucht dies bei Takemitsu auf, der übrigens auch Jazz komponierte und Beatles-Songs arrangierte und somit ebenfalls hier als Bindeglied fungiert. Auch das wird nun ins Bewusstsein hinein signalisiert.

Raus aus dem Studio, rein in den Kirchenraum
Wer in den Genuss kommt, eines der Konzerte live zu erleben, sollte das unbedingt tun. Kein Vergleich mit dem Klang der Studio-CD – wer würde das auch erwarten? Der Kirchenraum mit seinem Hall wirkt bei weitem nicht so Ensemble-kristallin; Tenor- und Bassinstrumente sind dominanter.
Beim Elbphilharmonie-Konzert anlässlich des Festivals „Lux Aeterna“ in der Kulturkirche Altona wird die Qualität der Blechbläser auf ganz andere Weise verdeutlicht. Sie nutzen den Raum und sorgen für recht unterschiedliche Klangvolumina. Die Toccata von Claudio Monteverdi wird sowohl von den beiden seitlichen Emporen gespielt wie vom Altarraum aus. Das wiederholt sich sinnigerweise ein weiteres Mal gleich nach der Pause und definiert das kommunikative, dialogische und gemeinsame Spiel der Doppel- und Mehrchörigkeit.
Wunderbar in diesem Sinn Gabrielis „Canzon per sonar septimi toni a 8, Ch. 172“. Das Lied zieht im Kirchenraum dahin, bis sich die Töne erst nach Sekunden leise auflösen.
Die Arrangements des in Hamburg lebenden russischen Pianisten Boris Netsvetaev (bei Gershwin, Ellington und zwei Spirituals) sind sensibel punktgenau auf die Anzahl der Musiker und Instrumente feingestimmt. Welche Qualität Jeroen Berwaerts’ Trompetenspiel innewohnt, zeigt er, neben einigen Gabrieli-Kompositionen, gerade bei den Spirituals überdeutlich, außerdem ist seine warme Tenorstimme, ideal passend für die Materie.
Schließlich ist neben Berwaerts auch sein Schüler Peter Dörpinghaus zu nennen, der am Schluss des Konzerts bei „Swing Low“ klarmacht, wie gut er arrangieren kann – und sein Lehrer betont, dass er das nicht von ihm haben könne. Überhaupt ist jeder einzelne Musiker auf seiner Position ein Gewinn für das Ensemble. Die Freude am Spiel und der angenehme Respekt vor dem jeweils anderen Mitstreiter ist den ganzen Abend spürbar und kreiert eine zusätzlich angenehme Atmosphäre.

Eigentlich wird am Ende des Konzerts klar: es geht gar nicht um die „Signale vom Himmel“ (Signals from Heaven), sondern vielmehr um die „Signale an den Himmel“ (Signals to Heaven).

Jeroen Berwaerts & Salaputia Brass: Signals from Heaven

solo trumpet / vocals Jeroen Berwaerts
trumpet Anton Borderieux • Markus Czieharz • Peter Dörpinghaus • Jonathan Müller • Lukas Reiß
horn Felix Baur • Andreas Pöche • solo flugelhorn (Swing Low) Julian Wasserfuhr
trombone Aaron Außenhofer-Stilz • Felix Eckert • Philip Pineda Resch
bass trombone Jonas Burow • tuba Joel Zimmermann • percussion instruments Severin Stitzenberger
Label: audite
CD, VÖ: 24.2.
EAN: 4022143977250
Hörproben
YouTube-Video:
Salaputia Brass & Jeroen Berwaerts: Signals from Heaven

Tracking-List:
- Claudio Monteverdi (1567-1643) Toccata from „Orfeo“ (1607) 1:32
- Giovanni Gabrieli (1557-1612) Sonata „Pian e Forte“ C175 from „Sacrae Symphoniae“ 4:43
- George Gershwin (1898-1937) „Summertime“ from „Porgy and Bess“ (1935) / arr. Boris Netsvetaev 8:07
- Giovanni Gabrieli Canzon primi toni C170 from „Sacrae Symphoniae“ 3:28
- Spiritual / arr. Boris Netsvetaev „Sometimes I feel like a motherless child“ 4:13
- Tōru Takemitsu (1930-1996): Signals from Heaven / I Day Signal 1:51 / II Night Signal 2:56
- Giovanni Gabrieli Canzon noni toni C173 from „Sacrae Symphoniae“ 2:48
- Spiritual / arr. Boris Netsvetaev  „Nobody Knows the Trouble I’ve Seen“ 3:21
- Giovanni Gabrieli Canzon septimi toni C172 from „Sacrae Symphoniae“ 3:13
- Duke Ellington (1899-1974) „Come Sunday“ from „Sacred Concerto No. 1“ (1943/1965) / arr. Boris Netsvetaev 4:55
- Giovanni Gabrieli Canzon per sonar prima „La Spiritata“, C186 from „Canzoni“ 2:39
- Spiritual / arr. Peter Dörpinghaus Swing Low (4:05-4:42: feat. Julian Wasserfuhr, flugelhorn) 6:20


Salaputia Brass: Sounds of Evolution
Daniel Schnyder: Brass Symphony, Oriol Cruixent: Brasserie Mediterrània, Peter Dörpinghaus: Four Bagatelles, Fernando Morais: Indigene Cantos, Derek Bourgeois: Airs and Atmospheres, Markus Geiselhart: A Short Story in Brass, Peer Markusson: Sad Doe Eyes, Ingo Luis: Fantasy on “I Got Rhythm”
Label: audite
CD
EAN: 4022143977236
Hörproben
You-Tube-Video:
Sounds of Evolution – Salaputia Brass

Weitere Informationen zu LUX AETERNA - Ein Musiukfest für die Seele


Abbildungsnachweis:
Header: Salaputia Brass. Foto: Steven Haberland
CD-Cover audite
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