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Rufus Wainwright: Take All My Loves - 9 Shakespeare Sonnets

Singer-Songwriter Rufus Wainwright widmet seine Hommage an Shakespeare (1564-1616) ausdrücklich dem Regisseur Robert Wilson. Das kommt nicht von ungefähr, denn Wainwright und Wilson arbeiteten von 2007 bis 2009 gemeinsam an „Shakespeare Sonette“, einem musikalischen Theaterstück, das 2009 im Berliner Ensemble uraufführt wurde.

Die Bezüge der gemeinsamen Arbeit spiegeln sich auf dem vorliegenden Album nicht nur inhaltlich wider, sondern auch formal, hinter den Kulissen. Mitstreiter von damals sind Mitstreiter von heute. Der entscheidende Unterschied: diese Version ist näher am Original und internationalisierter. Texte sind in englischer und deutscher Sprache, die Mitwirkenden sind in ihren jeweiligen Szenen bekannt und außergewöhnlich gut (neben Rufus Wainwright sind dies Anna Prohaska, Helena Bonham Carter, William Shatner, Peter Eyre, Jürgen Holtz, Marius de Vries etc.) und werden hier sinnhaft mit ihren Stärken variantenreich zusammengefügt. Die Kombination aus instrumentaler und vokaler Musik sowie Rezitation öffnet Text und Sprache zur Musik und umgekehrt. Warum das Album allerdings in der Kategorie „Jazz" anstatt bei der „Klassik" zu finden ist, muss von den Marketingköpfen des Labels erläutert werden. Wainwright liegt eben in einer Schublade...

Rufus Wainwright Cover Take all my loves154 Sonette schrieb der Meister aus England, neben den bekannten Theaterstücken „Hamlet", Mcbeth" und „Richard III" eine einmalige Leistung in der Literatur jener Zeit, mit Wirkung bis ins Heute. Die Themen sind eben immer noch virulent: „Liebe - Hass, Sehnsucht - Überdruss, Leidenschaft - Langeweile, Männlichkeit - Weiblichkeit, Gesicht - Maske, Bewegung - Stillstand, Jugend - Alter, Leben - Tod... So unendlich viele Assoziationen zu Shakespeares Sonetten“, heißt es zur Uraufführung im Berliner Ensemble.
Der Stil ist einfach groß, die Auswahl Rufus Wainwrights an Sonetten ebenso. Freunde und Künstler vermuteten in der Auswahl der Stücke eine geheime Botschaft, eine eigene Narration, wie man das schon bei Shakespeare selbst vermutete, jedoch keinen Schlüssel zur Decodierung fand. Auch bei Wainwright bleibt alles im Nicht-gedeuteten oder gar im Nicht-deutbaren.
Wainwright verweist richtiger Weise auf die Magie der Poeme selbst, auf ihre Langlebigkeit und die Trefferquote der Gefühlspunkte.

Das BBC Symphony Orchestra kann bekanntermaßen nicht nur Klassik, sondern auch Filmmusik und wie hier melodisches Erzählen. Zwischen Leichtigkeit und der Tiefe einer Ballade, angemessen und immer im Singer-Songwriter-Stil, ohne Verlust an Substanz. Großartig Anna Prohaska mit „Th'Expense Of Spirit In A Waste Of Shame (Sonnet 129)“, wie sie hier die Spannungsbögen stimmlich zieht und wieder entzerrt! Selbst die kanadische Aussprache William Shatners, der ebenfalls Sonett 129 vorträgt, tut dem Projekt keinen Abbruch, sondern dreht mit dessen atmosphärischem Hintergrund-Sound alles in eine unabhängig scheinende szenische Bildlesung.
Jürgen Holtz vermittelt in „All dessen müd (Sonnet 66)“ nichts mehr als pure Größe, das Sprechtheater, in seiner Großartigkeit vermittelt – man steht quasi direkt vor der Bühne des Berliner Ensembles. Sprache, Lied, Gesang, Piano und Streicher bilden eine geerdete Einheit, mit dem Klang südosteuropäischer, jüdisch anmutender Transkulturalität. Christopher Nell und Rufus Wainwright übernehmen den sprachlichen Staffelstab aus den Händen Holtz’, ergänzen und verändern den Lauf der Dinge.

„Thus have I had thee as a dream doth flatter,
In sleep a king, but waking no such matter.“ (William Shapespeare, Sonett 87)

Farewell...

Rufus Wainwright: Take All My Loves - 9 Shakespeare Sonnets
LP (Album)
Deutsche Grammophon (DG), Universal Music Canada
No. 00028947955092

Videos:
A Womans Face Reprise (Sonnet 20)
Florence Welch - When in Disgrace with Fortune and Men's Eyes (Sonnet 29)
Rufus Wainwright - Sonnet 20
Shakespeares Sonette by Robert Wilson (Berliner Ensemble)


Abbildungsnachweis:
Header: Rufus Wainwright. Quelle: CMS
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