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 Jacques Loussier zum 80. Geburtstag

Dass Jacques Loussier der Mann ist, der in den 1950er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Swing aus dem alten Bach herauskitzelte und ihn mit seinen Jazz-Improvisationen aus der E-Musik-Schublade herausholte, ist eine bis heute unvergessene Revolution. Dass Loussier außerdem ein Komponist ist, der mehr als 70 Film- und Ballettmusiken geschrieben hat und dass er im Studio seines Schlosses Miraval in der Provence unermüdlich, ja fast besessen daran arbeitet, die sogenannten „ernste“ Musik mit den Stilmitteln der anderen Hälfte des musikalischen Universums zusammenzubringen, weiß kaum einer. Jetzt lädt eine verdienstvolle Naxos-CD mit den zwei Violinkonzerten Loussiers zum 80. Geburtstag dazu ein, diese andere Seite des „Play Bach“-Erfinders zu entdecken.

Schubladendenken
Loussier, Jahrgang 1934, hat mit dem Improvisieren angefangen in endlosen Übungsstunden, in denen er seinen Fingern Bachs Werke beibrachte. Irgendwann nahmen sie wie von selbst Abzweigungen in Richtung Swing und Jazz. Nach dem Klavierstudium War er Begleitpianist für Charles Aznavour, ging auf Tour nach Kuba mit einer rumänischen Zigeunerkapelle, leistete seinen Wehrdienst im Algerienkrieg.

Dann kam der Riesenerfolg mit Play Bach. Das Erfolgsgeheimnis: Play Bach war aus Loussiers Spieltrieb entstanden, Musik aus dem Bauch für den Bauch. Die swingenden Inventionen, Fugen und Concerti mit den improvisierten Passagen lösten in den 60er-Jahren einen Kulturschock und einen verbissenen Streit aus. Hauptkampflinie: Darf man das? Niemals, meinen die einen, für die sich alles, was tönt, naturgegeben in ernste (also gute) und (minderwertige) Unterhaltungsmusik einteilt. Sie konstatierten Geschmacklosigkeit und Sittenverfall. Na klar darf man, sagten die anderen.
Loussier selbst sieht das im Rückblick entspannt. Er ist stolz darauf, dass seine Art, mit Bach zu spielen, ein Stück Spaß in die ernste Musik zurückgebracht hat. „Das ist im 18. Jahrhundert doch stark verlorengegangen, als diese Konzerte aufkamen, in denen die Leute sitzen mussten, nicht reden, nicht essen, nicht trinken durften. Ich hatte aber nie das Gefühl, etwas Skandalöses zu tun. Im Gegenteil. Die Verbindung von wunderschöner alter Musik mit der Lebendigkeit des Jazz entspricht meiner spielerischen Natur.“

Mehr als sechs Millionen Tonträger verkaufte diese Serie, die er mit Bassist Pierre Michelot und Schlagzeuger Christian Garros einspielte. Weltweite Tourneen mit an die 150 Auftritten pro Jahr folgten. Bis sich das Trio 1978 auflöste.

Flaneur und Forschungsreisender in Sachen Fusion
Loussier macht nun Geld zu Freiraum, um die Weiten des musikalischen Universums zu erkunden. Sein Experimentierfeld: Fusion zwischen Rock, Jazz und Klassik. Es entstehen genreübergreifende Kompositionen für akustische und elektronische Instrumente. Eine faszinierende Frucht dieser Arbeit an der Integration der Genres ist 1986 seine großartige, eingängige, farbenprächtige und mitreißende „Barocke Messe des 21. Jahrhunderts – Lumières“.

Cover Loussier1988 schreibt er sein erstes Violinkonzert. Es nimmt rhythmische und melodische Impulse aus Jazz, Tango und Zigeunermusik auf. Das Schlagwerk ist weit weniger präsent, als der Titel Concerto No.1 for violin und percussion“ das vermuten lässt. Statt dessen erweist sich Loussier – „für mich ist die Melodie das A und O“ – als Erfinder hochmelodischer, sehnsüchtiger bis leidenschaftlicher Violin-Passagen und als Meister im präzisen Ausmalen atmosphärischer Stimmungen. Bauchmusik auch das – und der Kopf, der sie geschaffen hat, soll nicht spürbar werden.

Im ersten Satz mit dem Titel „Prague“ steigt die Melodie über einer synkopierten Staccato-Begleiter von Streichern und Schlagzeug auf, die vage Anklänge an Vivaldi hervorholt. Der zweite Satz – „L’homme nu“ – entwickelt sich als verträumter Melodiefaden aus einem Streicher-Flimmern und blüht langsam zu einem Cinemascope-Dolby-Surround-Ambiente auf, bei dem sich unwillkürlich irgendwann der Name „Morricone“ in Erinnerung ruft. Der dritte Satz nimmt die Zuhörer mit zu einem heißen Flirt in eine Tango-Kaschemme in Buenos Aires, und im vierten schlägt die Stunde der Percussion, überschrieben mit „Tokyo“ wird das Publikum in eine fremdartige Höreindrücke hineingezogen, das Schlagwerk treibt Solisten und Orchester durch flirrende und faszinierende Klangwelt.

Das „Concerto No. 2 for violin and tabla“ entstand 20 Jahre später, und es klingt ein wenig wie eine kleine Reise durch Loussiers Leben. Gleich der erste Satz beginnt mit einem zwingenden Marschrhythmus und exotisch anmutenden Harmonien, auf denen die Violine tanzt – es wird ein Kampf des Gleichschritts gegen die Freiheit des Jazz, Ausgang da noch ungewiss.

Der zweite Satz zieht eine einzige große Violin-Linie, die als integratives Element über einer von viele Fragmente zersplitterte Begleitung schwebt und die Andeutungen der Tupfer zu einem Ganzen rahmt. Eine Cadenza führt dann zum wilden vierten Satz, der in klarer Verwandtschaft zum Czardas Zigeunerklänge den furiosen und virtuosen Schlusspunkt setzen lässt.

Zugabe auf dieser CD für Entdecker: die Sonate für Violine und Klavier des Polen Ignacy Jan Paderewski, geboren 1860. 1882, also fast zeitgleich, geschrieben mit den drei Sonaten für Klavier (Gunther Hauer) und Violine von Johannes Brahms. Bei Paderewski konzertieren ein spätromantisches, hoch virtuoses Klavier mit einer Violine, deren Ton sich noch aus dem sentimental-sehnsüchtigen Duktus des zwanzig Jahre zuvor entstandenen g-Moll-Violinkonzerts von Max Bruch zu speisen scheint und dem die Schroffheiten in der Tonsprache von Brahms noch fremd zu sein scheinen.


Jacques Loussier: Violinkonzerte und Ignacy Jan Paderewski: Violinsonate a-Moll. Adam Kostecki (Violine), Piotr Iwicki (Percussion), Polish Philharmonic Chamber Orchestra, Leitung: Adam Kostecki.
Naxos
8.573200


Jacques Loussier: Concerto No.1 for Violin and Percussion. 2. Satz: L’homme nu
Jacques Loussier: Concerto No.2 for Violin and Tabla. 2. Satz, gespielt von Adam Kostecki


Abbildungsnachweis:
Header: Jacques Loussier. Foto: Yves Veron
CD-Cover