Meinung
Zum Verschwinden von Ai Weiwei

„Too big to die“ heißt es in Finanzkreisen oft, wenn ein Weltkonzern oder eine Großbank Gefahr laufen, Pleite zu machen und von der Bildfläche zu verschwinden: Zu groß, um zu sterben.
Unwillkürlich kam mir dieser Satz in den Sinn, als Ai Weiwei vor zwei Wochen verschwand. Man hatte vorher ja die leise Hoffnung, dass es bei ihm, dem international geehrten Popstar der Gegenwartskunst und unerschrockenen Regimekritiker tatsächlich so wäre: Dass dieser bedeutende Künstler, der zur documenta 12 eintausend und einen Chinesen nach Kassel holte und dabei nicht Müde wurde, Verstöße gegen Menschenrechte, wirtschaftliche Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Behörden-Schlamperei und -Korruption in seiner Heimat zu kritisieren, nicht einfach ausgeschaltet werden kann.

Dass der weltweite Ruhm, seine Genialität, sein Kultstatus im eigenen Land, letztlich doch als eine Art Schutzschild wirkt. Zu groß, um mundtot gemacht zu werden? Pustekuchen! Peking hat demonstriert, wie naiv diese Hoffnung war. Im Land der aufgehenden Sonne gilt das Individuum nichts, das System alles. Wer stört, wird ausgeschaltet. Warnungen hatte Ai Weiwei zuvor ja genug erhalten. In den vergangenen Wochen und Monaten nahmen die Repressalien seitens der Behörden und der Polizei kontinuierlich zu. Vor dem Atelier waren Überwachungskameras postiert, auch Internet-Aktivitäten wurden permanent kontrolliert. Bereits 2009 wurde der Künstler bei einem Polizeieinsatz so heftig zusammengeschlagen, dass er eine Gehirnblutung erlitt, die dann in München operiert werden musste. Ai Weiwei war sich der Gefahr durchaus bewusst, er plante bereits den Umzug nach Berlin, wo er schon ein Studio gekauft hatte. Doch dazu wollte es das Regime nicht kommen lassen. Am 3. April wurde der Künstler auf dem Flughafen Peking festgenommen. Seitdem ist sein Handy abgeschaltet, der Kontakt zur Außenwelt komplett abgebrochen. Wo er ist, wie es ihm geht? Man weiß es nicht. Man weiß nur, dass sein Atelier zertrümmert und weitere acht Mitarbeiter festgenommen wurden. Vier Tage später beschuldigten die Behörden Ai Weiwei wegen angeblicher „Wirtschaftsdelikte“. Was dann folgte, nennt sich nach einer uralten chinesischen Kriegstaktik „Der Weg des Ochsen“: Konsequentes Schweigen, internationale Kritik aussitzen und immer schön lächeln. Auch in Hamburg wird das derzeit erfolgreich praktiziert. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Der Lotusweiher“ gerade im Hamburger Kunsthaus fragte ein aufgebrachter Besucher die chinesische Generalkonsulin, „was passiert jetzt in China?“ Ihre Antwort: „ Was passiert? Nichts passiert. Chinesische Künstler genießen die große Freiheit“.

In einem hat Chen Hongmei recht: Nichts passiert gegenwärtig. Nichts, mit Ausnahme ein paar hilfloser Protestnoten seitens westlicher Regierungschefs und aufgebrachter Kulturschaffenden. Es wird auch nichts passieren, wenn der Druck auf China nicht massiv zunimmt und wenn es medial so läuft, wie es mit allen Katastrophen, Kriegen und menschlichen Tragödien bisher gelaufen ist: Am Anfang überschlagen sich Fernsehen, Rundfunk und Tageszeitungen noch mit Meldungen. Am zweiten und am dritten Tag wird noch mal nachgelegt. Und dann? Dann kommen neue Nachrichten und die Medien gehen wieder zur Tagesordnung über. Mit dem Literaten und Nobelpreisträger Liu Xiabo (elf Jahre Haft), war das so, mit dem iranischen Regisseur und Menschenrechtler Jafar Panahi (sechs Jahre Haft), mit dem burmesischen Schauspieler und Regimekritiker Zarganar (35 Jahre Haft), ganz zu schweigen von den unzähligen wenig bekannten Dissidenten in aller Welt, die täglich von der Bildfläche verschwinden und den Zeitungen kaum eine Notiz wert sind.
Ai Weiwei hat als einzige Waffe seine enorme Popularität. Wenn die Medien ihn fallen lassen, ist er gestorben. So oder so. Damit das nicht geschieht, dürfen wir Journalisten nicht Müde werden zu berichten. Für Ai Weiwei und all die anderen mutigen Menschenrechtler auf dieser Welt ist es die einzige Chance.

Ihre Isabelle Hofmann